Das Geheimnis des „Zweiten Gesichts“
Um die Spökerkiekereien geht es am Dienstag bei einem Vortrag im Emslandmuseum. Auf diesem Holzschnitt des Heimatkünstlers Heinrich Everz sieht der Spökenkieker den Brand einer Stadt voraus.
Dass die französischen Kriegsgefangenen von 1870/71 ihre Verstorbenen auf dem Alten Friedhof in Lingen beerdigten, war an sich nichts Ungewöhnliches. Wohl aber, dass ein angesehener Lingener Lehrer genau diese Szene rund 20 Jahre vorher bereits exakt gesehen und beschrieben hatte. So überliefert es jedenfalls Friederich Zurbonsen in seiner bekannten Untersuchung zum „Zweiten Gesicht“. Über dieses spannende Phänomen berichtet am Dienstag, 7. Februar, um 15.00 und um 19.3o Uhr Museumsleiter Dr. Andreas Eiynck bei einem Vortrag im Emslandmuseum.
Seher, Spökenkieker oder auch Wicker nannte man jene Menschen, die nachweisbar seit dem 16. Jahrhundert ihre Zeitgenossen mit Blicken in die Zukunft in Angst und Schrecken versetzten. Mal sahen sie den Brand eines Hauses oder einer ganzen Stadt voraus, mal einen Unglücks- oder Todesfall in der Nachbarschaft. Daher gehörten die Spökenkieker verständlicher Weise nicht zu den gern gesehenen Personen im Dorf. Nicht immer waren ihre Vorgesichte klar und plausibel zu deuten, aber eines stand fest: dem Schicksal des Vorausgesagten konnte niemand entgehen. Flucht, Verstecken oder Gegenmaßnahmen – alles war letztlich wirkungslos. Gerade über solche Fälle berichten viele alte Geschichten.
Eigenartige Gabe der Schäfer
Unzählige Beispiele von Vorgesichten, die tatsächlich eintraten, sind in Akten und Gerichtsprotokollen überliefert. Nicht selten gerieten die Spöken in den Verdacht, die Geschehnisse selber angezettelt zu haben. Doch zu beweisen war das nie.
Im Emsland standen vor allem die Schäfer im Rufe des „Zweiten Gesichtes“. Besondere Naturerfahrung und individuelle Einbildungskraft vermischten sich bei diesem Berufsstand oft zur eigenartigen Gabe, Geschehnisse aus der Zukunft in Vorgesichten klar vor Augen zu haben
Parapsychologie oder Phantasterei?
Bis in das 19. Jahrhundert nahm man die Prophezeiungen der Spökenkieker durchweg für bare Münze. Selbst in den Kirchen betete man dafür, dass dieses oder jenes Vorgesicht abgewendet werden möge – nicht immer mit Erfolg.
Im 20. Jahrhundert stellte der aus Lünne im Emsland stammende Psychologe Dr. Karl Schmeing die Erforschung des „Zweiten Gesichtes“ auf eine neue wissenschaftliche Grundlage. Nach zahllosen Gesprächen und Experimenten mit damals noch lebenden Spökenkiekern führte Schmeing das Phänomen schließlich auf eine außergewöhnlich starke bildliche Vorstellungskraft der Seher zurück. Diese sogenannte Eidetik führte er auf die kindliche Entwicklungspsychologie zurück. Zwar konnte auch Karl Schmeing nicht erklären, warum solche Vorgesichte dann schließlich auch in der Realität eintrafen, aber sein Buch über das „Zweite Gesicht in Niederdeutschland“ gehört bis heute zu den Standardwerken in Sachen Spökenkiekerei.
Zahl der Seher ging zurück
Seit dem 19. Jahrhundert ging die Zahl der Seher rasch zurück und heute ist diese Gabe praktisch ausgestorben. Manche Forscher führen dies auf die veränderten Lebensumstände in der modernen und technischen Welt zurück, die seitdem auch den ländlichen Raum immer mehr erfasst hat. Und Prof. Franz Jostes, der den Spökenkiekern schon im 19. Jahrhundert keinen rechten Glauben schenken mochte, sah gar einen Zusammenhang zwischen dem abendlichen Konsum der allzu fetten Speckpfannekuchen, die manchem Seher wohl eine unruhige Nacht und böse Träume beschert hätten.
Der Vortrag wird mit zahlreichen Bildern illustriert, darunter auch Darstellungen aus den psychologischen Experimenten von Dr. Karl Schmeing. Der Referent Dr. Andreas Eiynck nutzte schon in seinem Studium in Münster die umfangreichen Unterlagen des Archivs für Westfälische Volkskunde, die zahlreiche Berichte über dieses geheimnisvolle Thema enthalten. Die Veranstaltungen finden in Zusammenarbeit mit der VHS und dem Heimatverein Lingen statt.
Beginn ist am 7. Februar um 15.00 bzw. 19.30 Uhr, der Eintritt beträgt 5,00 €
für Mitglieder des Heimatvereins Lingen ermäßigt.