In der Reihe „Lingen unter der Herrschaft Napoleons“ veranstaltete der Heimatverein Lingen einen Vortragsabend mit dem Historiker Helmut Stubbe da Luz im Lingener Professorenhaus. Stubbe da Luz ist Privatdozent an der Universität der Bundeswehr in Hamburg und Experte für Okkupationen und Besatzungsregimes.
Protestanten und Katholiken unter französischer Okkupation
‑ eine Quelle aus dem Lingener Stadtarchiv ‑
Präfekt Keverberg (Osnabrück) an Intendant Chaban (Hamburg) 10. März 1812
Betreff: Bericht über die Reaktion der Protestanten von Thuine, des Inhalts, daß deren Kirche nicht in eine katholische umgewandelt werde.
Herrn Reichsgrafen Chaban, Staatsrat, Intendant für die Inneren Angelegenheit und für die Finanzen, in Hamburg
Herr Reichsgraf!
Sie haben mir ehrenvollerweise mit Ihrem Brief vom 16. Dezember eine Petition der protestantischen Einwohner von Thuine zurückgeschickt, die an Seine Hoheit, den Fürsten Generalgouverneur [Davout], gerichtet gewesen war. Die Petition zielt darauf ab, daß der Tempel jener Protestanten nicht in eine katholische Kirche umfunktioniert, ferner, daß der am genannten Ort verstorbene Pfarrer ersetzt werde.
Der Bericht des Unterpräfekten zu Lingen [von Grote], der die Petition der Protestanten betrifft, aber auch die Ansprüche der Katholiken, und den ich mir erlaube, hier anzufügen, enthält alle erforderlichen Erläuterungen, um sich ein Urteil über die jeweiligen Forderungen der beiden konfligierenden Seiten bilden zu können. Es geht daraus hervor, daß die topographische Lage von Thuine und die geringe Zahl der Protestanten (sie beläuft sich auf 62) es im Zuge der gegenwärtigen Umorganisationen nötig macht, den Anschluß dieser Kirchengemeinde an diejenige von Freren herbeizuführen, die ungefähr eine dreiviertel Meile entfernt ist und wo sich die Zahl der protestantischen Bewohner auf 107 beläuft. Die Gemeinde Freren ist darüber hinaus Hauptort eines Kantons, und die protestantischen Bewohner von Thuine sind zum Teil näher an dieser Gemeinde gelegen als an der eigenen. Diese Überlegungen sprechen gegen die Bitte, die sich hinsichtlich der Aufrechterhaltung ihres Tempels vorgebracht haben, aber auch gegen die Ernennung eines Pfarrers als Ersatz für den am 29. Dez. 1808 verstorbenen, auch die vorherige (westphälische) Regierung hat es nicht für nötig befunden, ihn zu ersetzen.
Die Katholiken können ihrerseits auf eine Bevölkerung von 1456 Seelen verweisen. Die Kirche, derer sie sich bedienen, ist aus Holz erbaut und weist keinerlei Stabilität auf. Sie ist weit davon entfernt, baulich vollendet zu sein. Sie verfügt über keinen Glockenturm, und das Geld ist nicht da, das nötig wäre, ein solches Bauunternehmen zu beginnen. Neben dem Altar ist die Kirche mit Planken abgedichtet, die die Luft durchlassen, wurmstichig sind (vermoulu) und dem Regen nicht standhalten.
Die Petition, die von den Katholiken vorgebracht worden ist, erscheint deshalb nicht unvernünftig; allerdings handelt es sich hier auch um ein Eigentumsproblem.
Ich denke, Herr Reichsgraf, daß es im übrigen im Zuge der Reorganisation der protestantischen Kirchenorganisation angemessen wäre, zu entscheiden, (1.) ob die protestantische Kirche in Thuine als solche beibehalten werden sollte oder nicht; (2.) ob es im Falle einer Verneinung dieser Frage nicht angemessen wäre, im Sinne der katholischen Glaubensgemeinschaft über das Gebäude zu entscheiden, das sie für sich verlangt, und (3.) zu untersuchen, ob es im Gegenzug zu dieser Abtretung nicht angemessen wäre, die Protestanten zu entschädigen.
Was den Vorwurf der Intoleranz angeht, so bekennt sich der Lingener Unterpräfekt selbst zum protestantischen Glauben und versichert, nur auf diese Weise könne‘ den Katholiken gegenüber Gerechtigkeit geübt werden. Er hegt über die Protestanten bei weitem keine so günstige Meinung.
Es sei ausgemacht, daß die Katholiken unter einer recht harten Unterdrückung im Rahmen der alten Herrschaft gelitten hätten, und es wäre keineswegs überraschend, wenn sich von daher einige Bitterkeit in ihrem kollektiven Gedächtnis festgesetzt hätte.
Aber unter einer weisen, festen und gerechten Obrigkeit, wie die unsrige sie darstellt, ist zu hoffen, daß die Spuren dieser alten Zwistigkeiten bald verschwinden.
Ich bin mit Respekt, Herr Reichsgraf, Ihr sehr ergebener und sehr gehorsamer Diener, Keverberg
Vgl. zu diesem Thema auch
SLEMEYER, HANS: „Der ‚Aufruhr‘ in Freren 1806“. In: Jahrbuch des Emsländischen Heimatbundes 33 1987, S. 12‑19.
Helmut Stubbe da Luz