Gegen das Vergessen und Verdrängen
Fast 50 Personen waren der Einladung des Heimatvereins Lingen zu einer Halbtagesfahrt unter der Leitung von Hermann Stallo gefolgt, um sich vor Ort und im Dokumentations- und Informationszentrum (DIZ) in Papenburg über die im Aufbau befindliche Gedenkstätte des Lagers Esterwegen und die Kriegsgräberstätte zu informieren.
Auch wenn die meisten der Überlebenden der Inhaftierten der Emslandläger über 90 Jahre alt seien und ihre Erinnerungen schon längst weitergegeben hätten, so kämen auch in heutiger Zeit noch viele Dokumente hinzu, betonte Kurt Buck, der Leiter des DIZ. Erst kürzlich seien auf dem Wege über die USA 220 Seiten eines Tagebuchs eines italienischen Inhaftierten aufgetaucht. Diesem Tagebuch würde im nächsten Jahr eine Sonderausstellung gewidmet. Weiterhin lägen im Staatsarchiv Osnabrück ca. 220 m Akten über die Emslandläger.
Jeder 7. überlebte nicht
Buck führte weiterhin aus, dass in den 15 emsländischen Lägern in etwa jeder 7. der insgesamt 250 000 Inhaftierten gestorben sei. Allein die Zahl der getöteten oder gestorbenen Russen belaufe sich auf 26 000. Diese hätten eine besonders brutale Behandlung erfahren. Auch ging Buck auf das besonders harte Schicksal der vielen deutschen Schützhäftlinge ein, die schon seit Anfang 1933 ohne juristische Verurteilung eingesperrt worden waren. Sie hätten weder den Grund ihrer Inhaftierung noch etwas über die Dauer erfahren.
Auf die Frage, ob die Emsländer von den Inhaftierungen gewusst hätten, antwortete Buck, dass die Presse in den Jahren 1933 und 1934 darüber berichtet hätte. Allerdings muss man wissen, dass die Presse ab Juni 1933 schon einer rigorosen Zensur unterlag und auch die tatsächlichen Umstände im Lager verschwiegen wurden. Auch wäre jegliche Kritik für jeden einzelnen mit der Gefahr der eigenen Inhaftierung verbunden gewesen.
Aus dem Besucherkreis wurde berichtet, dass sie selbst in Lingen auf der Georgstraße und in Meppen auf dem Schullendamm Strafgefangenenkolonnen gesehen hätten. Auch über die Versorgung der Läger mit Lebensmitteln und anderen Materialien hätten Einheimische einiges gewusst.
Erfreut zeigte Buck sich über die Unterstützungen, die für den Aufbau der Gedenkstätte auf dem ehemaligen Lagergelände zur Verfügung gestellt würden. Allerdings sei nicht daran gedacht, z. B. die Lagerbaracken als Rekonstruktion dort wieder aufzubauen. Wohl werde das Dokumentationszentrum in wenigen Jahren von Papenburg nach Esterwegen umziehen.
Kriegsgräberstätte Esterwegen
Der Besuch endete mit einer Besichtigung der Kriegsgräberstätte Esterwegen. Hier erhielt jeder Teilnehmer die Kopie einer Rede, die der ehemalige Lingener Oberstudiendirektor Dr. Göken im Jahre 1966 an dieser Stelle gegen das Vergessen und Verdrängen hielt. Dr. Göken führte schon im Jahre 1960 Lingener Gymnasiasten nach Esterwegen, als vielfach in Deutschland das Thema Drittes Reich und Konzentrationslager totgeschwiegen wurde.
Auf Grund des großen Interesses an diesem Themenbereich ist vom Heimatverein im nächsten Jahr eine Informationsfahrt zum Übergangslager Westerbork in Holland angedacht.
Text und Fotos: Benno Vocks, Lingen 2007