Familiengeschichte der Familie Schuir

von Gerda Nichau, Lünne

Was bewegte die kleinen Leute im südlichen Emsland in den Jahren 1914-1918. Wie war die Stimmung auf dem Lande? Dieser Frage ging ich anhand eigener Forschungsergebnisse nach. Dabei bettete ich das Weltkriegsgeschehen in einem Rückblick auf die Familiengeschichte meines Urgroßvaters, der Familie Schuir aus Brümsel ein.

Eine Reise zurück ins Jahr 1914

Der Urgroßvaters Clemens Schuir, Kleinbauer, Ehemann und Vater von 6 kleinen Kindern wird zum Landsturm einberufen und muss die Familie und den Hof unversorgt zurück lassen, sowie viele andere Männer aus der kleinen Gemeinde Brümsel, die 1910, 139 Einwohner hatte, auch.

Nach der ersten Euphorie, kam bald die Ernüchterung: Im August 1914 war die Ernte nicht abgeschlossen. Zwar wurden in der Landwirtschaft Kriegsgefangene eingesetzt, doch kam es schnell zu Versorgungsengpässen. Denn nicht nur die Männer fehlten, sondern auch die Pferde, die nach Pferdemusterungen in den Orten an die Front geschickt wurden.

Schulkinder sammeln für die Soldaten, basteln Liebesgaben, stricken warme Socken und werden in der Landwirtschaft eingesetzt. Oft werden Schulferien verlängert, damit die Kinder helfen können.
Die Töchter der Familie Schuir fahren jeden Morgen vor der Schule den Milchwagen zur Molkerei, ein lukrativer Nebenverdienst des Vaters, den man sich nicht nehmen lassen wollte.

Steckrübenwinter wird zum Symbol des Hungers

Nachbarn schreiben Feldpost von der Front, andere aus dem Lazarett. Jäger spenden Wildbret für die Lazarette in Lingen. 1915 werden die Viehbestände in Messingen und Brümsel von der Maul- und Klauenseuche heimgesucht. Ein verregneter Herbst 1916 verursacht eine Kartoffelfäule, die große Teile der Ernte vernichtete. Der „Steckrübenwinter“ 1916/17 wurde zum Symbol des Hungers, der während des Krieges in Deutschland grassierte. Auch in Lingen gab es ‘‘Milchausgabenstellen‘‘.

Auf den Schlachtfeldern beginnt das Grauen

Auf den Schlachtfeldern Flanders beginnt ein neues Zeitalter der Kriegsführung:Panzer, Flugzeuge werden zum ersten Mal eingesetzt. Die ‘‘dicke Bertha‘,‘ ein 1914 in den ersten Tagen des Ersten Weltkriegs erstmals eingesetztes Geschütz, ist wegen seiner Größe und Wirksamkeit eines der berühmtesten seiner Zeit gewesen. Erprobt wurde diese Waffe vor 100 Jahren auf dem Krupp’schen Schießplatz in Meppen.
Während der Zweiten Flandernschlacht im April 1915 griffen deutsche Truppen erstmals Stellungen der Alliierten mit Chlorgas an. Da das Gas schwerer als Luft ist, sank es in die Schützengräben und tötete dort schätzungsweise 10.000 Soldaten, die zumeist einen qualvoll erstickten. Bilder von mit Chlorgas völlig Verstümmelten oder an Gliedmaßen Amputierten werden dem Zuschauer wohl noch lange nachgehen.

Nachbarn sterben

Das Zentral-Nachweise Amt für Kriegerverluste und Kriegergräber Berlin teilt den Familien den Tod mit. Totenmessen ohne Leichnam, denn er ruht in Flanderns Feldern. An vielen Fronten betrug die Lebenserwartung nur 2 Wochen. Viele Kriegsgräberstätten an der ehemaligen Westfront erinnern noch heute an den ‘‘Großen Krieg‘‘. Verdun, in Nordfrankreich, gilt heute als Mahnmal gegen kriegerische Handlungen und dient der gemeinsamen Erinnerung und vor der Welt als Zeichen der geglückten deutsch-französischen Aussöhnung.

Fast ein Drittel aller gefallenen Soldaten sterben an der ‘‘Spanischen Grippe‘‘. Im Emsland, aber auch in der Grafschaft Bentheim erkrankten etliche. Ohne Zweifel trug der allgemeine schlechte Gesundheitszustand vieler Menschen in der Hungerzeit des Ersten Weltkriegs zu den hohen Totenzahlen bei. Auffällig war, dass in der Heimat viele junge Frauen und kleine Kinder der Pandemie erlagen. In Brümsel starben 3 Personen an der ‘‘Spanischen Grippe‘‘.

Im Westen nichts Neues 

Erich Maria Remarque, geboren in Osnabrück, war von August 1919 bis März 1920 Lehrer in Lohne. Er schrieb den berühmten AntikriegsromanIm „Im Westen nichts Neues„. Im Ersten Weltkrieg wurde er 1916 nach einem Notexamen eingezogen und kam im Juni 1917 als Soldat an die Westfront. Bereits Ende Juli desselben Jahres wurde er durch mehrere Granatsplitter an Arm und Bein sowie einen Halsschuss verwundet. Er kam in ein Armee-Hospital in Duisburg, wo er bis zum Ende des Krieges blieb.

Clemens Schuir überlebt

Clemens Schuir ist stationiert im Landwehr-Infanterie-Regiment Nr. 73 und die meiste Zeit in Hannover, wo sein Regiment hauptsächlich polizeiliche Aufgaben übernimmt. Feldpostkarten von der Porta Westfalica und Quakenbrück zeigen seinen Heimweg. Er hat den Krieg unbeschadet überstanden. Viele andere aber nicht. Aus Brümsel sind 9 Männer gefallen. Andere kehrten als Kriegsversehrte heim.
Aber 20 Jahre später sollte alles noch viel schlimmer werden…

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