Aufgewachsen im Haus Nummer 36a

von Hans Brinck, Davos

An dieser Strasse im Haus Nummer 36a wurde ich am 4. Adventssonntag des Jahres 1924 geboren. Dort verlebte ich auch meine Kinderjahre. Was mir aus dieser Zeit an der Schwedenschanze in Erinnerung geblieben ist, schildere ich in den folgenden Abschnitten.

Noch im späten 19. Jahrhundert hat es außerhalb der ursprünglichen Festung Lingen keine Straßenbezeichnungen gegeben. So hieß es in den Katasterblättern für unser Grundstück (Ecke Schwedenschanze – Brunnenstrasse) „Am neuen Wall belegen“. Damit meinte man ein größeres Gebiet östlich der Stadtmauern. Die Straße Neuer Wall führt ihre Bezeichnung wohl von einem Grenzwall her, der gegen das Laxter Gebiet gezogen wurde. Sie kommt bereits im Catastrum von 1781 vor. Die Bezeichnung „Schwedenschanze“ wurde nicht willkürlich gewählt. Mit dieser Namengebung wollte man daran erinnern, dass im 30-jährigen Krieg die Stadt Lingen vom schwedischen Heer belagert worden war. Diese Truppe hatte beim Haus Schwedenschanze Nr. 26 (Prior) einen Wall aufgeschüttet und in dieser mit Reisigbündeln befestigten Schanze ihre Kanonen in Stellung gebracht. Von dort wurde dann die Stadt beschossen. Nicht alle Kanonenkugeln haben den zerstörerischen Weg in die Stadt gefunden. Einige davon haben wir Kinder beim Spielen in den noch vorhandenen Sandhügeln entdeckt.

Blick von der Bahnhofstraße (heutige Bernd-Rosemeyer-Sraße) auf Kokenmühle, Wasserturm, Bahnübergang mit Stellwerk und Hüttenplatzschule.

Über das Kopfsteinpflaster rumpelten die Wagen

Die Schwedenschanze begann an der Lookenstraße bei der Bäckerei Lohre. Sie führte über die Bahnhofstraße (die spätere Bernd-Rosemeyer-Str.), vorbei an der Hüttenplatzschule und Koken-Mühle und überquerte die Eisenbahnlinie Münster-Emden. Am Pumpenhaus für den Wasserturm und an der Gastwirtschaft Thien vorbei erreichte sie dann unser Grundstück Schwedenschanze 36/36 A und führte dann weiter bis zu den Kiesbergen.

Auf diesem Bild erkennt man deutlich den schlechten Straßenzustand. Erst später wurde auf der linken Straßenseite ein Bürgersteig angelegt und die Straße selbst erhielt ein Kopfsteinpflaster.

Als Pflasterung hatte man die im Sand der umliegenden Endmoränen gefundenen Kiesel benutzt. Dieses „Kopfsteinpflaster“ wurde 1936 erneuert, aber nicht, wie wir gehofft hatten, gegen bessere Steine. Nein, es wurden die vorhandenen „Katzenköpfe“ nur neu im Sandbett verlegt und damit die vorhandenen Schlaglöcher beseitigt. Bei diesen Arbeiten habe ich den Pflasterern zugeschaut und gesehen, wie sie die in der Größe unterschiedlichen Natursteine mühsam so setzten, dass es eine möglichst gute und ebene Oberfläche gab. Aber nach Beendigung dieser Arbeiten gab es weiterhin ein lautes Gerumpel, wenn die eisenbewehrten Räder der Pferdewagen darüber fuhren. Von einem Straßenverkehr im heutigen Sinne konnte man damals nicht sprechen. Nur wenige Fahrzeuge fuhren in Richtung der Kiesberge (Gemeinde Laxten), wo die Schwedenschanze auf unbefestigte Wege stieß, und somit gab es keinen Durchgangsverkehr.

Ein täglicher Gast vor unserem Haus war der Milchmann mit Namen Schonhoff. Mit seinem Pferdegespann klapperte er von Haus zu Haus und machte mit Glockengeläut auf sich aufmerksam. Den Familien lieferte er frische Milch, Sahne, Butter usw. Er war zu den Hausfrauen sehr freundlich, plauderte gern mit ihnen und war sehr beliebt.

Müllabfuhr war kein gern gesehener Gast

Das Gegenteil davon war die Müllabfuhr, die ein- bis zweimal in der Woche die Anwohner der Schwedenschanze „heimsuchte“. Der von der Stadt Lingen damit beauftragte Unternehmer (er hieß „Gast“, war aber kein gern gesehener Gast!) hatte als Transportmittel für die angefallenen Abfälle nur einen offenen Wagen, auf den er den von den Anwohnern gesammelten Müll kippte. Neben dem unangenehmen Geruch (Gestank) war es auch eine sehr staubige Angelegenheit. Die trockene Asche aus den Kohleöfen wirbelte dabei hoch und verteilte sich bei dieser Art der Abfuhr beim kleinsten Luftzug in der Umgebung, wirklich eine Umweltverschmutzung der übelsten Sorte! Wir haben wegen dieser Schweinerei nur selten Müll an den Straßenrand gestellt. Unser Recycling-System klappte damals schon gut. Was von den Küchenabfällen die Schweine nicht fraßen, landete auf dem Misthaufen. Die Asche wurde gesammelt, um damit im Winter bei Schnee und Glatteis etwas zum Streuen des Fußweges zu haben. Der Restmüll wurde gelegentlich verbrannt. Somit wurde aller Abfall von uns artgerecht entsorgt.

So sah die Straßenreinigung an der Schwedenschanze um die Jahrhundertwende aus.

Eine von der Gemeinde durchgeführte Straßenreinigung gab es für die Schwedenschanze nicht. Die Anlieger sollten laut Ortsstatut diese Aufgabe selbst übernehmen. Einmal in der Woche musste die Straße vom Schmutz befreit werden. Wenn Pferde ihre „Äpfel“ auf unserem Straßenabschnitt fallengelassen hatten, wurden diese schon vorher mit einem Kehrblech aufgelesen und als willkommener Dünger in den Garten gebracht. Weiterer Schmutz fiel selten an, und wenn, dann wurde er meist durch einen Regenschauer von der Straße gespült. So war die Reinigung keine allzu große Aufgabe für uns. Jeder Samstag brachte als ein Tag des Großreinemachens viel Arbeit mit sich. Neben der Straße musste der unbefestigte Fußweg gefegt oder geharkt werden, was bei der Länge unseres Grundstücks sehr zeitaufwendig war. Dazu kam im Winter das Schneeräumen und das Streuen, was für uns als Grundstückseigentümer keine zu vernachlässigende Tätigkeit sein durfte. Mutter war immer froh, wenn der in der Nacht gefallene Schnee im Laufe des Vormittages schnell getaut war, denn dann erübrigte sich das staubige Verteilen der Asche auf dem Gehweg.

Gaslaternen beleuchteten die Schwedenschanze

Vor dem Haus befanden sich Blumenbeete, die am Wochenende vom Unkraut befreit werden mußten; die dazwischenliegenden Wege wurden geharkt und die Gehwegplatten von der Straße bis zur Haustür bekamen den Schrubber zu spüren. Danach erhielt die Haustür den letzten Schliff, indem die Messingbeschläge mit „Sidol“ geputzt wurden und dann schön glänzten. Somit konnte den kritischen Blicken der sonntäglichen Kirch- und Spaziergänger ein sauberes und ordentliches Bild unseres Grundstückes gezeigt werden.

Nach dem Krieg wurde die Schwedenschanze und mit einem anderen Pflaster versehen und auch verbreitert; unser Vorgarten fiel dieser Maßnahme leider zum Opfer. Die Beleuchtung der Schwedenschanze erfolgte durch Gaslaternen, die durch ihr kümmerliches Licht wenigstens etwas Helligkeit in diese dunkle Gegend brachten. Wir Kinder machten uns häufig den Spaß, durch festes Treten gegen den Laternenpfahl den in der Glaskuppel befindlichen „Glühstrumpf“ zum Erlöschen zu bringen. Es gelang uns, durch diesen Bubenstreich einen größeren Straßenabschnitt zu verdunkeln, um bessere Voraussetzungen für das von uns so geliebte abendliche Versteckspiel zu haben.

Auf der unserem Grundstück gegenüberliegenden Straßenseite verlief der Strootbach, der von uns nur als Bäcke bezeichnet wurde. Um ihr Grundstück zu erreichen, hatten die Anwohner über den hier etwa 3-4 Meter breiten Bach jeweils eine Fußgängerbrücke errichten müssen. Für uns Kinder bildete dieses Rinnsal eine schöne Spielgelegenheit. Mit der Verbreiterung der Schwedenschanze wurde die Bäcke verrohrt, und somit ist von diesem Rinnsal heute nichts mehr zu sehen.

Der Bahnübergang Schwedenschanze, wie er zu meiner Schulzeit aussah. Wir Kinder spielten auf dem Nachhauseweg – um uns die Wartezeit zu verkürzen – mit den an der Schranke befestigten beweglichen Stäben, in dem wir sie mit unseren Füßen in Schwingungen versetzten. Dies wiederum bewirkte ein heftiges Schimpfen des Bahnwärters aus dem am rechten Bildrand zu sehenden Stellwerks.

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