Lingener Landwirtschaft um 1541

von Dr. Christof Spannhoff, Münster

Die Landwirtschaft der Vormoderne, also der Zeit vor 1800, unterschied sich fundamental von der heutigen Agrarproduktion und Viehhaltung. Im Laufe des 19. Jahrhunderts setzten Veränderungen ein, deren Folgen und Auswirkungen bis heute andauern. Mit der sogenannten Bauernbefreiung, dem Wegfall der Abgaben und Lasten sowie dem Erwerb der Hofstellen vom Grundherrn wurde aus dem hörigen Bauern der ökonomisch orientierte Landwirt. Die zuvor von gemeinschaftlichen und nachhaltigen Strukturen geprägte Landwirtschaft wurde individualisiert und intensiviert. So teilte man etwa die extensiv genutzten Gemeinheitsflächen unter den Bauern auf und führte sie einer gesteigerten land- oder forstwirtschaftlichen Nutzung zu. Durch sogenannte Meliorationen, also wörtlich „Verbesserungen“, wurden zuvor unbebaute Flächen kultiviert und ackerbaulich genutzt. Die Düngung der Böden wurde gesteigert. Zur effektiveren Düngergewinnung aber musste das Vieh ganzjährig aufgestallt werden. Später kam der Einsatz von Kunstdünger hinzu. Auch die Mechanisierung der Landwirtschaft wurde in den letzten 200 Jahren immerzu ausgebaut und verbessert.

Von Buren und Buwen

„Unterhalb der Kirchspielsebene existierten die Bauerschaften. Der heutige Begriff ‚Bauerschaft‘ ist eine verhochdeutschte Form, und zwar von niederdeutsch burskap das ursprünglich so viel wie ‚Nachbarschaft‘ bedeutete. Das Erstglied bur ‚Bauer‘ als Hauptwort geht auf das niederdeutsche Verb buwen ‚bauen, wohnen‘ zurück, das sich primär auf den Hausbau bezieht (und nicht auf den Ackerbau!). Der bur ‚Bauer‘ – das niederdeutsche Wort ist eigentlich eine Verkürzung von buwer – ist also wortwörtlich der ‚Bewohner‘ bzw. ‚Erbauer‘. Er war im Mittelalter derjenige, der ein Haus gebaut hatte bzw. bewohnte und als Hausbesitzer die volle rechtliche Teilhabe an der Gemeinde hatte. Das [!] bur, ebenfalls abgeleitet von buwen ‚wohnen‘, kann aber auch eine ‚Wohnung‘, ein ‚Haus‘ bezeichnen. Das Wort steckt in hochdeutscher Lautung noch im Vogelbauer, also dem ‚Vogelkäfig‘ (eigentlich ‚Vogelhaus‘).
Das hier betrachtete bur findet sich auch im zweiten Teil unseres noch heute gebräuchlichen Wortes Nachbar, althochdeutsch nahgibur. Auch in den mittelniederdeutschen Formen kann man das noch sehen: nabur bzw. nabuwer ‚Nachbar‘ ist wörtlich der ‚nahe Bewohner‘, der ‚nahe Hausbesitzer‘. Der Großteil der mittelalterlichen Bevölkerung betrieb Landwirtschaft zum Lebensunterhalt. Deshalb entwickelte sich das Wort bur ‚Bewohner, Hausbesitzer‘ schließlich auch zum Synonym für den Landwirt. Ursprünglich war dieser Zusammenhang mit Landbesitz und Ackerbau aber nicht gegeben, weil es landlose buren auch in den Städten gab. Unsere heutigen Wörter Bauer und Nachbar haben also denselben Ursprung, nur hat sich im Laufe der Zeit die Verwendungsweise des Wortes Bauer verändert, während Nachbar den älteren Sinn, nämlich des Wohnens in räumlicher Nähe, beibehalten hat.

Von Burgerichten und Umständen

Auch die Bauerschaft war primär ein Personenverband und erst sekundär über die Mitglieder eine räumliche Einheit. Erkennbar ist das auch an der Wortbildung. Das Zweitglied ist –schaft, niederdeutsch –skap, –skup (wie in Gemeinschaft, Genossenschaft, Jägerschaft), das zur Bezeichnung von Personengruppen gebraucht wird. Erst im späten Mittelalter ist der Gebrauch der Bezeichnung ‚Bauerschaft‘ für ein begrenztes Gebiet in den Schriftquellen nachweisbar. Der Übergang von einem Personenverband zu einem räumlichen Bezirk ist dadurch zu erklären, dass der Begriff Bauerschaft von den Personen, die dem Verband angehörten, auf deren Grundbesitz übertragen worden ist.

Auch heute noch existieren Bauerschaften, allerdings haben sie gegenwärtig keine rechtliche oder politische Funktion mehr. Doch das war nicht immer so. Wichtigstes Element der Bauerschaft als Personenverband war ihre Funktion als Gerichtsgemeinde. Das Verfassungsorgan dieser Gerichtsgemeinde war das Burgericht. Den Vorsitz in diesem Gericht hatte der sogenannte Burrichter. Die übrigen Buren (Bauern) einer Bauerschaft bildeten den „Umstand“, das heißt sie standen oder saßen im Kreis um den Burrichter herum, wenn Gericht gehalten wurde. Vor diesem Gericht wurden nachbarschaftliche Streitfälle geschlichtet. Die Versammlung der Bauern wurde auch Bursprake, also ‚Bauersprache‘ genannt. Hier teilte der Burrichter den übrigen Bauern wichtige Neuigkeiten mit oder besprach mit ihnen gemeinschaftliche Angelegenheiten. Der Versammlungsplatz wurde als Burstede, Burbrink oder im Tecklenburger Land auch Tie genannt. So wird auch die Burstede to Harslage im Lehnsverzeichnis genannt. Die Versammlungen konnten aber auch in speziellen Gebäuden stattfinden, die Gildehaus oder Burhus genannt wurden. Ein solches Burhus wird auch im Lehnsregister erwähnt, nämlich das Burhus tho Wilsten in parochia Besten.

Von Burschapen und Tharpen

Während von der älteren Forschung die Entstehung der Bauerschaften bereits in germanischer Zeit vermutet wurde, ist nach neueren Erkenntnissen davon auszugehen, dass die Bauerschaft als rechtliche Organisationsformen nicht weit vor das Jahr 1000 zurückreicht, in vielen Fällen vermutlich sogar erst danach entstanden ist. Damals machte erst eine steigende Bevölkerungszahl diese organisatorische Einrichtung notwendig. Als ältester Beleg einer bauerschaftlichen Organisationsform für das Münsterland beziehungsweise für Westfalen gilt das Vorkommen des Begriffs ledscipi in der Bedeutung ‚Bauerschaft‘ in einer Urkunde aus dem Jahr 1022/23. Der Begriff burschap als Bezeichnung für eine Gemeinschaft (lateinisch collegium) wird erstmals in einer Osnabrücker Urkunde aus dem Jahr 1187 genannt. Auch die Angaben des ältesten Freckenhorster Heberegisters (um 1100) zeigen, dass die ‚Bauerschaftsorganisation‘ zur Zeit seiner Abfassung noch nicht vollständig entwickelt und ausgeprägt war, denn die dort genannten Siedlungen werden nicht als burschap bezeichnet, sondern als tharp. Mit diesem Begriff tharp ‚Dorf‘ (Dativ Singular: tharpa) wurden kleine Gehöftgruppen bezeichnet, von denen später mehrere Einheiten zusammen eine Bauerschaft bildeten. Die Reste dieser Struktur zeigen sich auch noch im hier betrachteten Verzeichnis. Z.B. zeigt die Angabe Den kotten tho Myddendorpe in burscapio Vees in parochia Batbergen, dass es unterhalb der Bauerschaft noch Siedlungseinheiten gab. In diesem Fall benannt als Myddendorpe, also der ‚Siedlung in der Mitte‘. Zu bemerken ist hier, dass im Streusiedlungsgebiet auch eine einzige Bauernstelle eine Siedlung sein konnte. Das zeigen auch die zahlreichen Hofnamen, die auf –dorf, –dorp, –torp oder –trup enden.“

Quelle:
Auszug aus dem Vortrag von Dr. Christof Spannhoff, Münster anlässlich der Vortragsveranstaltung des AK der Lingener Familienforscher vom 1. Dez. 2016 in Altenlingen

Bildunterschriften:

1) Auszug aus dem Freckenhorster Heberegister
Quelle: http://www.handschriftencensus.de/15447
Link:
http://www.marburger-repertorien.de/abbildungen/pr/Muenster_StA_msc_VII_nr1316a_Bl_7v_8r.jpg

2) Arbeiten im Haus, auf dem Feld und im Garten (Holzschnitt aus Vergils „Georgica“, Straßburg 1502).

3) Von den Landgerichten (Kupferstich aus den „Georgica Curiosa Aucta“ von Wolf Helmhardt von Hohberg, Bd. 2, Nürnberg 1695, S. 52).

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