Archivalie des Monats Juli 2022
von Dr. Mirco Crabus
Im Jahre 1866 gründete sich neben der städtischen Feuerwehr, an der die Lingener Bürger verpflichtend teilnehmen mussten, eine Freiwillige Turnerfeuerwehr, bestehend aus den aktiven Mitgliedern des Männerturnvereins. Damals wurden auch Steigerleitern und Schläuche angeschafft. Dreißig Jahre später waren sie noch immer in Gebrauch. 1897 wendete sich die Turnerfeuerwehr deshalb an den Magistrat. Die meisten Schläuche seien durch den ständigen Gebrauch, aber auch durch „ungenügende Localitäten zum ordnungsmäßigen Trocknen der Schläuche“ derart kaputt, „daß wir mit denselben ein event. größeres Schadenfeuer mit Erfolg nicht bekämpfen können“. Auch die Steigerleitern seien inzwischen so unbrauchbar, dass sie von den Steigern „nur mit Lebensgefahr gebraucht werden können“. Man benötigte also drei neue Leitern und 150 Meter neue Schläuche. Nur leider war die Kasse der Turnerfeuerwehr leer, man hatte gerade eben erst neue Uniformen gekauft. Also bat man den Magistrat um finanzielle Unterstützung.
Das eigentliche Problem aber war: es gab in Lingen keine Möglichkeit, die Schläuche nach ihrem Einsatz in angemessener Weise zu reinigen und zu trocknen. Die Lösung sollte der Bau eines Steigerturms sein. Doch einmal mehr erwies sich die Finanzierung als schwierig. Die Turnerfeuerwehr schrieb zahlreiche Feuerversicherungen mit Bitte um Unterstützung an, doch meist kamen Absagen zurück. Die Gladbacher Feuerversicherung begründete ihre Ablehnung gar mit den Worten, das Löschen von Bränden diene ja ohnehin mehr den Unversicherten. Die Gothaer und die Magdeburger Feuerversicherung gewährten lediglich kleinere Beträge. Immerhin bewilligte der Lingener Kreistag im Dezember 1898 eine Unterstützung von 650 Mark aus der Landschaftlichen Brandkasse. Und aus der Vergnügungskasse der Turnerfeuerwehr kamen weitere 450 Mark.
Die zu erwartenden Kosten ließen sich anfangs gar nicht so genau bestimmen. Die Stadtverwaltung holte sich Rat bei anderen Städten und erfuhr, dass der Burgsteinfurter Steigerturm 1200 Mark gekostet hatte, der Osnabrücker rund 2400 Mark, der Coesfelder Turm gar nur 600 Mark. Da neben dem Steigerturm aber auch ein neues Spritzenhaus gebaut werden sollte, rechnete man schließlich mit einem Gesamtaufwand von 2600 bis 3000 Mark, weit mehr als ursprünglich angedacht. Und ein Grundstück hatte man auch noch nicht.
Und so wandte man sich im Februar 1899 erneut an den Magistrat. Der Turm sei für die Trocknung der Schläuche, der Aufbewahrung der Utensilien, aber auch für die Ausbildung der Steiger unbedingt erforderlich. 1500 Mark habe man schon, weitere 1500 brauche man noch. Deshalb machte man den folgenden Vorschlag: Der Steigerturm solle im Besitz der Turnerfeuerwehr sein, nach deren eventueller Auflösung aber an die Stadt fallen. Reparaturen wolle man selbst übernehmen. Außerdem soll auch die städtische Feuerwehr den Turm zum Trocknen der Schläuche und zur Ausbildung ihrer Steiger nutzen können. Nichtstädtische Wehren müssten hingegen für die Turmbesteigung zahlen. Im Übrigen würde man gerne auf städtischem Grund bauen und hatte auch schon einen passenden Platz im Auge: „die vordere Spitze der Bleiche, visa vis der 3 Siegeseichen von 1870/71“. Auf der Plenarsitzung vom 7. März wurde dem Wunsch der Turner grundsätzlich stattgegeben. Bewilligt wurde allerdings nur eine Unterstützung von 1150 Mark, und der Baugrund auf der städtischen Bleiche am Gasthausdamm wurde lediglich widerruflich und auf Zeit zur Verfügung gestellt.
Die Bauarbeiten für Steigerturm und Spritzenhaus konnten nun beginnen. Übernommen wurden sie von dem Maurermeister Sänger und dem Zimmermeister Plümers. Am 18. Mai 1899 erfolgte die Grundsteinlegung. Dabei wurde auch eine Urkunde mit den Namen von Magistrat, Bürgerkollegium und Turnerfeuerwehr versenkt. Ende Juli konnten die Arbeiten abgeschlossen werden, und am 20. August 1899 fand die feierliche Übergabe an die Turnerfeuerwehr statt – um 13 Uhr und nicht um 11:30 Uhr, wie fälschlich auf den Plakaten stand.
Dreißig Jahre lang stand der Steigerturm auf der Bleiche. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde im Turm eine Gedenktafel für die gefallenen Kameraden angebracht. Doch mit der Zeit geriet er zunehmend in Zerfall. So beschlossen die städtischen Kollegien im April 1929, einen neuen Turm und ein neues Gerätehaus zu errichten, und zwar an der Hafenstraße. Die Mittel von rund 10.300 Reichsmark kamen größtenteils von der Stadt, doch auch die Landschaftliche Brandkasse übernahm wieder einen Anteil. Ausgeführt wurden die Arbeiten vom städtischen Wirtschaftsbetrieb und Zimmermeister Karl Plümers. Am 27. Oktober 1929 konnte die neue Anlage mit Steigerturm und Gerätehaus schließlich seiner Bestimmung übergeben werden. Die Turnerfeuerwehr, die Werkfeuerwehr des Ausbesserungswerkes sowie die Feuerwehren von Nordhorn, Freren und Meppen zogen in einem Fackelmarsch zur Hafenstraße, wo eine neue Urkunde zusammen mit der alten von 1899 in die Mauer eingelassen wurde. Der alte Steigerturm war zu diesem Zeitpunkt bereits abgerissen.
Quellen und Literatur:
- StadtA LIN, Albensammlung, Nr. 45.
- StadtA LIN, Altes Archiv, Nr. 3120.
- StadtA LIN, Bürgerservice, Nr. 241, Nr. 578.
- StadtA LIN, Fotoserien, Nr. 582, Nr. 673.
- StadtA LIN, Lingener Kreisblatt vom 29.10.1929.
- StadtA LIN, Lingener Volksbote vom 28.10.1929.
- Tenfelde, Walter: Das Feuerlöschwesen der Stadt Lingen (Ems), Lingen (Ems) 1958.