Archivalie des Monats März 2018
Von Dr. Mirko Crabus
Die Anfänge des Lingener Postwesens werden allgemeinhin in die Mitte des 16. Jahrhunderts datiert. 1554 richtete Johann von Ligne, Statthalter des Königs von Spanien in Friesland, Groningen, Drenthe und Overijssel, einen Kurierdienst zwischen Lingen, Vechta und Vörden ein, um die Korrespondenz mit Heinrich II., Herzog zu Braunschweig-Lüneburg, sicherzustellen. Auch dürfte Johann von Lignes Vorgesetzte Maria von Ungarn, Oberstatthalterin der Niederlande einen Kurierdienst nach Lingen und weiter Richtung Norddeutschland unterhalten haben. Mit einer oft behaupteten allgemeinen „Postverbindung“ inklusive Lingener „Postanstalt“ hatte dies aber nichts zu tun. Die Kurierdienste hatten lediglich eine administrativ-militärische Funktion.
Hinweise auf ein öffentliches Postwesen gibt es erst aus dem 17. Jahrhundert. Bereits 1634 nutzten Amsterdamer Boten eine Reiseroute nach Hamburg, die auch über Lingen führte. Um 1650 begannen sie, mit den Hamburger Boten zusammenzuarbeiten, sodass das Postgut fortan in Lingen getauscht wurde. 1659 etablierte sich schließlich eine zweimal wöchentlich verkehrende reitende Post mit fester Route. Sie führte von Amsterdam über Zwolle und Nordhorn nach Lingen und dann weiter über Haselünne, Cloppenburg und Bremen nach Hamburg. Der genaue Verlauf der Route blieb jedoch geheim.
1676 ernannte der Postmeister des Amsterdamer Kontors der Hamburger Post jeweils einen Posthalter in den Städten Neuenhaus, Nordhorn und Lingen. Posthalter in Lingen wurde Heinrich zur Eyck, der dafür ein jährliches Gehalt von 25 Gulden bezog sowie einen Stüber für jeden der wöchentlich rund 75 Briefe, die für die Grafschaft Lingen bestimmt waren. Heinrich zur Eyck stammte ursprünglich aus dem westfälischen Senden. 1680 heiratete er Anna Martens. Im Jahr darauf wurde ihnen ein Sohn namens Friedrich geboren. Ein weiterer Sohn ließ sich später als Arzt in Lingen nieder. Als Heinrich zur Eyck 1701 starb, blieb das Posthalteramt in der Familie. Die Witwe Anna zur Eyck brachte die Post schließlich im Haus Burgstraße 7 unter.
Witwe zur Eick wird Posthalterin
Die Burgstraße 7 war laut Maueranker am Giebel im Jahr 1655 gebaut worden. Frühester bekannter Besitzer war Gerhard Cloppenburg. Nach seinem Tod ging das Haus an seinen Bruder, den Bürgermeister Dr. Johann Hermann Cloppenburg, von dem es wiederum sein Sohn, der noch unmündige Lateinschüler Egbert Gerhard Cloppenburg, übernahm. Dessen 1713 bestellten Vormünder verkauften das „Haus auf dem Kastell“ mitsamt Kastellgarten und Scheune an die Witwe Anna zur Eyck, bevor diese im Dezember 1716 starb. Auch ihr Sohn, der Posthalter Friedrich zur Eyck starb wenig später im Jahr 1721. Und damit wurde Maria Gertrud zur Eyck geb. Raeterinck, die er 1705 geheiratet hatte, die neue Posthalterin. Sie behielt Amt und Haus über Jahrzehnte hinweg. 1748 erwähnen die Quellen sie in der Burgstraße 7 als „Frau Wittwe zur Eick, holländisch und hamburgische Postmeisterin“. So klärt sich auch das Rätsel um die Bedeutung des Familienwappens, das sich heute über dem Seiteneingang des Hauses befindet. Mit seinen vier Eichen und drei Eichenblättern verweist es auf die Familie zur Eyck. Die Postverbindung erwies sich als äußerst ertragreich, und auch die Witwe zur Eyck scheint davon profitiert zu haben. Jedenfalls befand sie sich spätestens 1727 im Besitz eines weiteren Hauses, nämlich der Burgstraße 10 (später Haus Hüvett), das sie als Heuerhaus nutzte. Ein drittes, kleineres Haus besaß sie in der Castellstraße.
1752 wurden die städtischen Postorganisationen von Holland und Westfriesland zu einer staatlichen Post vereinigt. Der Betrieb professionalisierte sich dadurch, und bald bemerkte man, dass über die Verbindung Hamburg-Amsterdam offenbar überhaupt kein ausgearbeiteter Vertrag existierte. Um dem abzuhelfen, trafen sich beide Parteien 1760 in Lingen und Amsterdam. In Artikel 3 des 1761 ratifizierten Vertrages heißt es: „Nachdem von alters her Lingen als Austauschort vereinbart ist, weil circa auf halbem Wege zwischen Amsterdam und Hamburg gelegen, wird dieselbe nun auch zukünftig festgelegt als Mittelpunkt der beiderseitigen Richtungen der Route. Dementsprechend soll die Anstellung der Posthalter und die Gestellung der Reiter für den Hin- und Rückverkehr von Amsterdam bis Lingen durch die Post von Holland und von Lingen bis Hamburg durch das Postkontor von Hamburg organisiert und unterhalten werden (…).“ Die Lingener Poststation war derweil durch den Siebenjährigen Krieg stark in Mitleidenschaft gezogen worden. 1762 erhielt die Witwe eine Unterstützung von 300 Gulden für die erlittenen Schäden.
1776 starb Maria Gertrud zur Eyck, und ihr Sohn Hendrik zur Eyck übernahm das Amt. Nach dessen Tod 1784 folgte ihm wiederum sein Sohn Friedrich nach. Dieser erhielt einen Vertrag über 150 Gulden Jahresgehalt, verstarb aber schon vier Jahre später am 26. Januar 1788 im Alter von gerade 28 Jahren. Posthalterin wurde nun seine Witwe, Marie Louise zur Eyck geb. Costerus. Die Post verblieb in all diesen Jahren im Haus Burgstraße 7.
Marie Louise blieb nicht lange allein. Bereits am 15. August 1789 heiratete die 38-Jährige den 41-jährigen Johannes Campstede, der – wie schon Maria Gertrud zur Eyck – aus Ootmarsum stammte und seit 1773 den Lehrstuhl für Philosophie an der Hohen Schule innehatte. Zum Zeitpunkt der Heirat war Marie Louise bereits im vierten Monat schwanger. Am 19. Januar 1790 brachte sie einen Sohn zur Welt, der den Namen Johannes Ludovicus erhielt.
Marie Louise Campstede geb. Costerus verw. zur Eyck scheint die letzte holländisch-hamburgische Postmeisterin gewesen zu sein. 1808 wurde der gesamte Hamburger Botendienst, zu der auch die Amsterdamer Post gehörte, für 25 Jahre an das Großherzogtum Berg verpachtet. Die Bergische Post wollte die Route nun auf ihr Gebiet umleiten. Nach mühsamen Verhandlungen wurde der Austauschort in Lingen 1809 aufgegeben und nach Venebrugge und Hardenberg verlegt. Der Versuch des Haselünner Postmeisters Niehaus, die Poststation nach Haselünne zu holen, blieb erfolglos. Das Ehepaar Campstede wohnte jedoch auch weiterhin in der Burgstraße 7. Marie Louise Costerus ist dort 1817 letztmalig nachweisbar, der inzwischen pensionierte Prof. Campstede 1825. Die Reitpost zwischen Amsterdam und Hamburg indes wurde weiter betrieben und erst 1852 eingestellt.
Abb. 1: Von etwa 1713/16 bis 1809 war die holländisch-hamburgische Post in der Burgstraße 7 untergebracht.
Abb. 2: Das Wappen der Familie zur Eyck über dem Seiteneingang der Burgstraße 7.
Quellen und Literatur:
– StadtA LIN, Altes Archiv, Nr. 784, Nr. 822a, Nr. 1569, Nr. 6180-6182, Nr. 6238.
– StadtA LIN, Fotosammlung.
– StadtA LIN, Genealogische Sammlung, Nr. 14, Nr. 19, Nr. 20, Nr. 25.
– Bechtluft, Horst Heinrich: Zur Postgeschichte des Emslandes. Aus der Sammlung Heinrich Heeren, Meppen, in: Emsländische Geschichte 9 (2001), S. 182-203.
– Bolte, Friedrich: Aus der Geschichte der Post im Emsland. Teil 1, in: Jahrbuch des Emsländischen Heimatbundes 20 (1973), S. 157-169.
– Bolte, Friedrich: Die Post in Lingen, in: Postgeschichtliche Blätter „Weser-Ems“, Band III, Hefte 4-7 (1968/70).
– Brüske, Horst: Die Postgeschichte der Stadt Lingen (Ems) anno 1550/51 – 1918, o.O. 2001.
– de Haan, D. W.: Die „nördliche Postroute“ Amsterdam-Lingen-Hamburg, in: Mitteilungen der Arbeitsgemeinschaft für Heimatforschung im Lingener Land 71/72 (1996/97), S. 295-318.
– Kohstall, Aloys: Das Postwesen im Kreise Lingen in früherer Zeit, in: Jahrbuch des Emsländischen Heimatvereins 12 (1965), S. 178-185.
– Schriever, Ludwig: Geschichte des Kreises Lingen, II. Teil. Geschichte der einzelnen Kirchspiele, Lingen (Ems) 1978.
– Tenfelde, Walter: Catalogus discipulorum scholae Lingensis, o.O. o.J.
– Tenfelde, Walter: Ein altes Bürgerhaus an der Burgstraße, in: Kivelingszeitung 1984, S. 29-31.