Archivalie des Monats Juli 2016

von Dr. Mirko Crabus

Während des Ersten Weltkrieges stellte die Stadt Wien eine hölzerne Ritterfigur aus, in die jeder gegen eine Spende einen Nagel schlagen konnte. Die Idee der Kriegsnagelungen verbreitete sich schnell und fand zahlreiche Nachahmer. Zu ihnen gehörte auch die Stadt Lingen. Der Kaufmann Heinrich Schulte hatte Anfang Dezember 1915 einen Eichentisch mit Eisernem Kreuz im Hotel Heeger ausgestellt. Jeder konnte vor Ort einen Nagel kaufen, ihn in das Kreuz schlagen und sich in ein ausgelegtes Buch eintragen. Tisch und Buch sollten später dem Magistrat übergeben werden.

Der Magistrat hingegen plante längst eine ähnliche Aktion und gab die Gestaltung eines von dem Charlottenburger Bildhauer Prof. G. Riegelmann entworfenen Kriegswahrzeichens aus farbig bemaltem Eichenholz in Auftrag. Etwa 60 cm breit, stellte es ein Eisernes Kreuz auf dem Lingener Stadtwappen dar und sollte Raum für 20.000 Nägel bieten.

 

Nagelt das Kriegswahrzeichen

Die Preise für die Benagelung waren gestaffelt. Ein Nagel in der Krone kostete mindestens 500 Mark, in der Kaiserinitiale „W“ oder in der Jahreszahl „1915“ 100 Mark. Ein Nagel am Kreuzesrand oder im Wort „Dankesopfer“ kostete immerhin noch 50 Mark. Auch die Anbringung von Schildern mit individuellem Schriftzug für 25 oder 50 Mark war möglich und wurde besonders Vereinen empfohlen. Es gab aber auch Nagelplätze für 10 und 50 Pfennige sowie für 1, 3 und 5 Mark. Den Grund für die Staffelung formulierte der Lingener Volksbote: „Niemand ist so arm, daß er nicht wenigsten einen Groschen opfern kann. Und die, denen es gut geht (…), mögen sich sagen, daß Reichtum verpflichtet.“

Der Erlös sollte einem noch zu gründenden Fonds zur Unterstützung von bedürftigen Angehörigen gefallener Soldaten sowie Kriegsbeschädigten zugute kommen. Zwar komme auch der Staat für Hinterbliebene und Invaliden auf, doch bleibe ihre Not ohne zusätzliche Mittel aus Stiftungen groß. Der Fonds sollte einem von den städtischen Kollegien gewählten Ausschuss übertragen werden, die Rechnungsprüfung der städtischen Verwaltung obliegen. Am 17. Dezember wurde eine vorläufige Kommission ins Leben gerufen, Bürgervorsteher Bergen zum Vorsitzenden und Kommissar Gilles zum Schriftführer gewählt.

In den letzten Tagen des Jahres 1915 wurden in der Stadt Zeichnungen des Wahrzeichens mit genauen Preisangaben ausgehängt. Vorbestellungen auf teurere Nägel wurden im Lingener Volksboten und Lingenschen Wochenblatt entgegengenommen. Aufrufe mit dem Slogan „Nagelt das Kriegswahrzeichen!“ bestimmten fortan das Erscheinungsbild der beiden Zeitungen. Außerdem gingen Lingener Frauen von Haus zu Haus, um Gutscheine zu verkaufen. Nicht weniger als 21 Vereine, die sich an der Nagelung beteiligen wollten, trafen sich am 27. Dezember im Restaurant Bergen.

 

Die Einnahmen indes konnten sich sehen lassen

Die feierliche erste Nagelung fand am Neujahrstag 2016 statt. Es regnete. Die teilnehmenden Vereine nahmen in der Marienstraße Aufstellung und zogen um Punkt 12 Uhr in ausgeloster Reihenfolge unter Musik auf den Marktplatz. Dort war das Wahrzeichen auf einer kleinen Bühne vor dem Kriegerdenkmal aufgestellt worden, umgeben von den Fahnen Deutschlands und seiner Verbündeten Österreichs, des Osmanischen Reiches und Bulgariens. Geladene Gäste, Militärvertreter, Ausschussmitglieder und Stadtvertretung hatten sich hier inmitten einer Menschenmenge versammelt. Mit zwei Liedern eröffneten die Vereinigten Liedertafeln die Veranstaltung.
Dann ergriff Bürgermeister Meyer das Wort. Er lobte die deutschen Kriegserfolge („Möge bald auch die Macht unseres bösartigsten und verächtlichsten Feindes, Englands, gebrochen werden.“), die zu Dank verpflichten würden, und nannte als weiteren Grund für die Nagelung, ein „bleibendes Zeichen zur Erinnerung“ zu setzen „an die große Zeit, in der wir jetzt leben“. Und er erinnerte an die vergangenen Kriegsmonate: der auf der Rathaustreppe ausgerufene Kriegszustand, der Einzug wehrpflichtiger Männer in die Stadt, aus denen das 3. Bataillon Reserve-Infanterie-Regiment 92 gebildet wurde, und ihr Treueschwur auf Kaiser und Vaterland, die ersten verwundeten Soldaten, die vom Bahnhof in die Lazarette getragen wurden, schließlich die Stationierung von Landsturmbataillon und Grenzschutzkommando.

Nach Meyers Rede wurde von allen Anwesenden „Deutschland über alles“ angestimmt. Danach übernahmen wieder die Vereinigten Liedertafeln. Schließlich schlug Bürgermeister Meyer mit den Worten „Lang blühe unsere liebe Stadt Lingen“ den ersten Nagel ein.
Nun konnte jeder nageln. Dazu mußte er an der Ausgabestelle im Rathaus einen Nagel erwerben oder seinen Gutschein einlösen und sich mit Namen und Kaufpreis in ein dort ausgelegtes Buch eintragen. Mehrfachnagelung war ausdrücklich erwünscht. Wer glaubte, selbst keinen Nagel einschlagen zu können – „besonders die Damenwelt ist hier gemeint“, hatte im Vorfeld der Volksbote bemerkt – für den standen Helfer bereit.

Auch an den nachfolgenden Sonntagen gab es Gelegenheit, bei musikalischer Untermalung einen Nagel in das Wahrzeichen zu schlagen. Die Einnahmen indes konnten sich sehen lassen. Die Herstellung des Wahrzeichens hatte die Stadt lediglich 250 Mark gekostet. Über 10.000 Mark konnten schließlich dem Ausschuss übergeben werden.

Quellen und Literatur:
Stadtarchiv Lingen, Altes Archiv, Nr. 1950.Stadtarchiv Lingen, Fotosammlung Nr. 4572.Stadtarchiv Lingen, Lingener Volksbote vom Dezember 1915 und Januar 2016.
Eiynck, Andreas: Heimat und Front 1914-1918. Eine Ausstellung zum Ersten Weltkrieg im Emslandmuseum Lingen, in: Jahrbuch des Emsländischen Heimatbundes 61 (2015), S. 213-258.

Abb. 1: Das Kriegswahrzeichen auf einer 1916 von der Stadt vertriebenen Postkarte (Stadtarchiv Lingen)

Abb. 2: Vor dem Kriegerdenkmal wurde das Kriegswahrzeichen zur Nagelung ausgestellt. Foto um 1930. (Stadtarchiv Lingen)

Abb. 3: Eine von vielen Ankündigungen der ersten Nagelung im Lingener Volksboten (Stadtarchiv Lingen)

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