Archivalie des Monats Februar 2022

von Dr. Mirko Crabus

Amalie Ehrengarte Sophie Wilhelmine von Dincklage – genannt Emmy – wird am 13. März 1825 auf Gut Campe bei Steinbild geboren. Ihre Eltern sind Freiherr Eberhard von Dincklage und Freifrau Juliane von Stoltzenberg. Sie ist das älteste von sechs Geschwistern. Da ein männlicher Erbe zunächst ausbleibt, gilt sie eine Weile als Stammhalterin, lernt neben der Haushaltsführung auch Reiten und Scheibenschießen. Unterricht erhält sie standesgemäß von Erzieherinnen, Hauslehrern und – obwohl die Familie lutherisch ist – vom katholischen Geistlichen des Dorfes. Die Mutter nimmt ihre Töchter zu Armen- und Krankenbesuchen bei den Heuerleuten des Gutes mit. Mit 23 Jahren unternimmt sie mit der Mutter ihre erste größere Reise nach Wiesbaden und Mainz. Dort lernt sie auch den Offizier Karl von Wenckstern kennen. Die beiden verloben sich. Doch auf Druck der Eltern muss Emmy die Verlobung drei Jahre später wieder lösen. Beide halten Kontakt zueinander und bleiben zeit ihres Lebens unverheiratet.

Die ersten literarischen Anregungen erfährt sie im Elternhaus. Ihre Mutter ist mit der Schriftstellerin Katharina Schücking bekannt, die gelegentlich zu Besuch kommt, und es gibt eine Hausbibliothek. Sie liest Schiller, Uhland, Dickens und Raabe. Und sie verfasst eigene Gedichte. „Obwohl meine eigenen kleinen poetischen Versuche von Niemandem sehr gefördert wurden, betrieb ich sie doch mehr und mehr ernst, ich mühte mich mit den Regeln der Metrik und mein Ohr wurde empfänglich für die Schönheit des Ausdrucks.“

In Minden findet sie Kontakt zum Literaturkreis der Dichterin Elise von Hohenhausen. Eine Novelle von Mathilde Marquard, die ebenfalls zum Kreis gehört, bewegt sie dazu, von der Poesie zur Prosa zu wechseln. 1856 publiziert sie ihre erste Novelle im Cottaschen Morgenblatt und erhält dafür elf Taler Honorar. „Nie ist mir eine Summe wichtiger vorgekommen als diese selbst erworbene.“ Fortan veröffentlicht sie regelmäßig Novellen, rund fünfzig Werke werden es am Ende sein. Ihre Themen sind die Sitten und Gebräuche des Emslandes, seine Volkssagen und seine Geschichte. Oftmals spiegeln ihre Novellen das Leben der einfachen Bevölkerung. Die 1872/73 erscheinenden „Geschichten aus dem Emslande“ werden ihr größter Erfolg. Viele ihrer Geschichten entstehen allerdings nicht im Emsland, sondern auf der Reise. Sie reist quer durch Deutschland, besucht Österreich, Italien, die Slowakei und Ungarn.

1866 beschließt die Familie, das Gut Campe zu verpachten und nach Lingen in die Georgstraße 31 (heute Drogerie Hartdegen) zu ziehen. Am 27. Juni wird Emmy Stiftsdame im Kloster Börstel, jedoch ohne dort zu wohnen. Damit ist sie unabhängig von der Familie, wohl versorgt und verheirateten Frauen gleichgestellt. Nur einen Tag später fällt ihr ehemaliger Verlobter in der Schlacht von Skalitz. Erneut begibt sie sich auf Reisen. „Ich reise nicht“, sagt sie einmal, „ich lebe nur an verschiedenen Orten“. Immer wieder führt sie der Weg zurück ins Lingensche Elternhaus. Oft besucht sie auch Katharina Schückings Sohn, den Dichter Levin Schücking, mit dem sie seit 1855 eine lebenslange Freundschaft verbindet.

Im September 1880 bricht sie zu einer zehnmonatigen Amerikareise auf. Von Bremen fährt sie mit dem Dampfer nach New York, dann weiter mit dem Zug nach Cincinatti, wo sich viele Einwanderer aus dem Lingener Raum eine neue Existenz aufzubauen versuchen, besucht Baltimore und die Niagarafälle. Was als Bildungsreise geplant war, entwickelt sich zu einem regelrechten Triumphzug. Die amerikanischen Zeitungen berichten über ihre Reisestationen, der „Herold“ in Milwaukee nennt sie „eine der geistreichsten, gebildetsten Damen Deutschlands“. Sie erhält eine Einladung zu den Einführungsfeierlichkeiten des Präsidenten Garfield, die sie wegen der Beschwerlichkeiten der Anfahrt jedoch abweist. Von all der Anerkennung ist sie selbst ganz überrascht. Auch zu Hause wächst ihr Ruhm, sie gehört zu den meistgelesenen Schriftstellerinnen der 1880er Jahre.

1883 nahm sie am Schriftstellertag in Darmstadt teil. Dort kritisierte sie, dass der Vereinsvorstand im Schriftverkehr nur die Männer anspreche und die Frauen ignoriere. „In den ‚Aufforderungen des Vorstandes‘ figurierten wir als ‚Herren‘, man ließ die schönen Damen leben, erwähnte der dichtenden aber schonungslos nicht. Da eine vorangehen mußte, um diesen Übelstand zu beheben, so ward ich diese eine! Es wirkte! Man nahm mehr und mehr Notiz von den weiblichen Mitgliedern, aber meinen Bemerkungen für unsere Kongreßeinrichtung sieht man respektvoll entgegen, und wenn ich am Leben bleibe, werde ich einige große Schritte für die Blaustrümpfe tun.“ Die österreiche Dichterin Paul Maria Lacroma nannte sie später eine der „ersten und mutigsten Kämpferinnen für unsere geistige Erhebung – für unsere Rechte!“.

Die letzten zehn Jahre ihres Lebens verbrachte Emmy von Dincklage größtenteils in ihrem Lingener Elternhaus. 1890 erkrankte sie schwer und musste sich in Berlin einer Kehlkopfoperation unterziehen. Wenige Tage später starb sie mit 66 Jahren am 28. Juni 1891. In einem Zeitungsnachruf nannte man sie die „Dichterin des Emslandes“.

Quellen und Literatur
⦁ StadtA LIN, Bestand van Acken/ Hoffmann, Nr. 61, Blatt 34.
⦁ Grönninger, Brunhilde: Art. „Dincklage, Emmy von“, in: Emsländische Geschichte 6 (1997), S. 201-207.
⦁ Grönninger, Brunhilde: Die Emslanddichterin Emmy von Dincklage (1825-1891) und ihre Familie, in: Emsländische Geschichte 4 (1994), S. 7-33.
⦁ Hohenschwert, Karl: Emmy von Dincklage, die „Emslanddichterin“. Ein Gedenkblatt aus Anlaß ihres 80. Sterbetages, in: Jahrbuch des Emsländischen Heimatbundes 18 (1971), S. 133-142.
⦁ Pradel, Marga und Hans-Eberhard: Die Schriftstellerin Emmy von Dincklage und ihre ‚Geschichten aus dem Emslande‘, in: Emsländische Geschichte 19 (2012), S.554-571.
⦁ Vocks, Benno: Lingen wegweisend. 99 Straßen, Wege und Plätze. Porträts und Geschichte(n), Ahlen 2015.

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