Archivalie des Monats Januar 2017
Am 16. Oktober 1780 erreichte Scherif Hadschi Abdurrhaman Aga die Stadt Lingen. Den Titel Scherif führte er als Nachkomme des Propheten. Hadschi nannte er sich, nachdem er 1760 und mit seinem gesamten Haus erneut 1768 nach Mekka gepilgert war. Der Titel Aga schließlich wies ihn als einen Würdenträger in Staatsdiensten aus. Abdurrhaman war Gesandter des Pascha von Tripolis.
Die Regentschaft Tripolis gehörte damals wie etwa auch Algier und Tunis zu den sogenannten Barbareskenstaaten. Formal waren es osmanische Provinzen, faktisch agierten sie aber weitgehend unabhängig. Die Haupteinnahmequelle der Barbareskenstaaten bestand im Kapern von Schiffen. Das war im Falle eines – entsprechend behaupteten, aber hoch umstrittenen – Kriegszustandes mit den europäischen Staaten völkerrechtlich durchaus erlaubt. Die europäischen Staaten, später auch die noch jungen USA reagierten mit einer Doppelstrategie auf die Piraterie im Mittelmeer. Teils hielt man sich die Barbareskenstaaten durch Zahlungen gewogen, teils ging man militärisch gegen sie vor. Allein im 18. Jahrhundert intervenierten die Niederlande, Großbritannien, Dänemark und zweimal Frankreich gegen Tripolis. 1728 hatten die Franzosen Tripolis fast vollständig zerstört.
Keine ganz einfache Ausgangslage für einen tripolitanischen Gesandten in Europa. Abdurrhaman stammte aus einer angesehenen und wohlhabenden Familie, war mit dem Scheich der Stadt verwandt und hatte, wie es der deutsche Staatsrechtler und Zeitgenosse August Ludwig von Schlözer formulierte, „wie alle vornemen Leute in der Barbarei einen ansenlichen Handel im mittelländischen Meere getrieben“. Zugleich rühmte Schlözer Abdurrhamans „Kenntnisse und LebensArt“. Als Gesandter unterhielt er Kontakte etwa zu Venedig oder Florenz, aber auch zu Schweden.
Bereits 1773 war Abdurrhaman ein erstes Mal nach Schweden gereist. 1780 tat er es ein zweites Mal. Zu seinem Gefolge gehörten unter anderem sein Verwandter Hadschi Mahmud, der Legationssekretär Hadschi Mustafa, zwei Offiziere, ein Geistlicher, ein Stallmeister und ein Kammerdiener. Offizieller Anlass war die Geburt des schwedischen Kronprinzen. Den eigentlichen Grund für den Besuch sah Schlözer aber darin, sich mit einer möglichst großen Gesandtschaft in Schweden frei verköstigen zu können und danach mit möglichst vielen Geschenken wieder abzureisen. Tatsächlich wurden die Teilnehmer der Gesandtschaft und in Abwesenheit auch der Pascha von Tripolis reich beschenkt, sei es mit goldenen Uhren, Pistolen, einer anlässlich der Geburt des Kronprinzen geprägten Medaille oder direkt mit Geld. Schlözer nannte es eine „BettelGesandtschaft“.
Am 22. April 1780 hatte Abdurrhaman eine Abschiedsaudienz beim schwedischen Kanzleipräsidenten und reiste danach wieder ab. Sein Weg führte ihn über Kopenhagen, bis er schließlich Lingen erreichte. J. Ch. Gabel berichtet 1787 in seiner Lingener Chronik: „1780 den 16. Oktober ist hier der tripolitanische Abgesandte Scherif Hadschi Abdurrhaman-Aga auf der Rückreise aus Schweden und Dänemark durchgekommen, wobei das Post- und Fuhrwerk profitirt und manche possirliche Auftritte vorgefallen.“
Das Bild, das sich ihm von der Stadt geboten hat, dürfte in etwa dem Gemälde entsprechen, das 1776 der Lingener Maler Theodor Wasmuth gemalt hat. Anlass des Bildes war wohl die vier Jahre zuvor erfolgte Renovierung des Alten Rathauses. Abdurrhaman blieb nicht lange in Lingen. Er befand sich nur auf der Durchreise.
Quellen und Literatur
Stadtarchiv Lingen, Allgemeine Sammlung, Nr. 852.
Stadtarchiv Lingen, Fotosammlung.
Die Gemälde der Stadt Lingen im historischen Rathaus. Aus einer Untersuchung des Emslandmuseums Lingen, in: Kivelingszeitung 1999, S. 118f.
Kohstall, Aloys: Das Postwesen im Kreise Lingen in früheren Zeiten, in: Jahrbuch des Emsländischen Heimatvereins 12 (1963), S. 178-185.
Lehrerverein der Diözese Osnabrück (Hg.): Der Kreis Lingen (Beiträge zur Heimatkunde des Regierungsbezirks Osnabrück 1), Lingen a. d. Ems 1905.
Schlözer, August Ludwig: Briefwechsel meist historischen und politischen Inhalts. Siebender Theil, Göttingen 1780.
Abb.1: Nordwestansicht der Stadt Lingen aus der Hand des Malers Theodor Wasmuth, 1776. (Ausschnitt. Original im Alten Rathaus, Faksimile im Stadtarchiv Lingen)
Abb. 2: „Scherif Hadschi Abdurrhaman Aga“ in arabischer Schrift. (Schlözer, August Ludwig: Briefwechsel meist historischen und politischen Inhalts. Siebender Theil, Göttingen 1780, S. 237)