Archivalie des Monats April 2019

von Dr. Mirko Crabus

Bereits seit dem 17. Jahrhunderts machten sich zahlreiche Wanderarbeiter, sogenannte Hollandgänger, im Frühjahr auf den Weg in die Niederlande auf der Suche nach Arbeit. Es war harte und schlecht bezahlte Arbeit auf dem Feld, in Torfmooren oder im Kanalbau. Einer von ihnen war Gerhard Bernhard Kruis, ein Heuermann aus Suttrup, im Volksmund Knapp Gerd genannt. Er war verheiratet, hatte fünf Kinder und schuldete dem Bauern Weggert mehrere Jahre Pachtgeld. 1824 befand sich Kruis – inzwischen rund 47 Jahre alt – erneut auf Hollandgang. Ende Juli erschien er bei dem Bauern van den Bosch im Delftland, um für ihn wie in den Jahren zuvor Korn zu mähen. Doch entgegen früherer Zusicherung hatte diese die Arbeit bereits jemand anderen gegeben: dem sechs Jahre jüngeren Heuermann Gerhard Heinrich Langeborg aus Andervenne. Kruis glaubt, Langeborg habe den Bauern van den Bosch gegen ihn aufgebracht. Die nächsten zwei Wochen muss er von seinem bisher Ersparten leben. Statt der nach einem Hollandgang üblichen 40 Gulden hat Kruis nur 19 Gulden in der Tasche. In Delfts begegnen sich Kruis und Langeborg, sie geraten aneinander. Letztlich aber schließen sich beide einer Gruppe emsländischer Heimkehrer an.

 

Heuermann aus Suttrup

Ihr Verhältnis hat sich zwischenzeitlich gewandelt, Mitreisende beschreiben es als freundschaftlich. Schließlich bleiben sie hinter der Reisegruppe zurück. Auf der Straße von Lingen nach Thuine machen beide am 12. September 1824 in der Gaststätte Overhoff Rast. Kruis drängt zum Aufbruch. In Thuine sollen sich ihre Wege trennen. Davor, nur rund 300 Schritte von Thuine entfernt, legen sie noch eine Pfeifenpause am Wegesrand ein. Dann geht es plötzlich sehr schnell. Kruis greift einen herumliegenden Kiefernknüppel und schägt Langeborg auf den Kopf. Beim zweiten Schlag bricht der Ast, und Kruis setzt die Schläge mit einem Stein fort. Dann schleift er den Bewußtlosen zwischen die nahegelegenen, umwallten Felder des Gastwirts Bruns. Mit einem Strick bindet er Langeborgs Hals an den Ast einer jungen Eiche, sei es, um ihn zu erwügen oder zu verhindern, dass er in die Mitte des Wallgrabens falle und so von der Straße aus sichtbar werde. Er nimmt Langeborgs Geldkatze mit 31 Gulden an sich; sechs weitere Gulden übersieht er.

Am nächsten Tag finden Schäfer Langeborgs Leiche. Sie informieren den Thuiner Obervogt. Der Gastwirt Overhoff identifiert schließlich das Opfer. Noch in der folgenden Nacht wird Kruis in seinem Heuerhaus in Suttrup verhaftet. In dem Verhör am nächsten Morgen gesteht Kruis freimütig seine Tat. Bei einer Tatortbegehung finden sich auch der Kiefernknüppel und der Stein wieder. Schließlich wird Kruis in das Lingener Gefängnis eingewiesen. Es lag hinter dem Palais Danckelmann, dem damaligen Sitz des Amtes Lingen. Während unten im Gebäude der Gefängniswärter wohnte, waren oben die Zellen für die Gefangenen eingerichtet. Kruis erweist sich als friedlicher und frommer Insasse. Regelmäßig erhält er Besuch vom katholischen Pastor Glauert.

 

Begnadigungsgesuch scheitert

Zwischen September und Dezember 1824 wird Kruis sechsmal verhört. Kruis behauptet, die Tötung Langeborgs sei nicht geplant gewesen, sondern erst durch den zufällig daliegenden Kiefernast ermöglicht worden. Ende April 1825 wird Kruis schließlich das Urteil der Osnabrücker Richter verkündet. Tatsächlich erkennt das Gericht nicht auf Mord, was die Strafe des Räderns nach sich gezogen hätte, sondern lediglich auf Totschlag und verurteilt Kruis damit zum Tod durch das Schwert. Kruis legt keine Berufung ein, doch richtet sein Verteidiger zum Sande ein Begnadigungsgesuch an König Georg IV. Darin verweist zum Sande unter anderen auf die ungewisse Zukunft seiner Frau und seiner Kinder und bemerkt, dass der König mit der Begnadigung des ersten seit seiner Herrschaft in der Niederen Grafschaft Lingen zum Tode Verurteilten ein Zeichen setzen könnte. Doch der König folgt der Empfehlung der Geheimen Räte des Kabinettsministeriums in Hannover, die schon das Osnabrücker Urteil für recht wohlwollend halten, und lehnt die Begnadigung am 14. Juni ab.

 

Die letzte Hinrichtung des Amtes Lingen

Die Hinrichtung ist für Dienstag, den 19. Juli 1825 angesetzt. Der genaue Ablauf lässt sich zum Teil jedoch nur rekonstruieren. Demnach wurde Kruis vor das Alte Rathaus geführt, wo ihm die Richter des Niedergerichts Lingen das Urteil verkünden. Danach wird er im Wagen zur Richtstätte auf dem Gierenberg im Laxtener Feld gefahren. Auf dem Gierenberg warten bereits Ordnungskräfte, um den Platz von Schaulustigen freizuhalten. Anwesend ist auch der Glauert nachgefolgte Pastor Homann. Auch der Scharfrichter ist mit seinen beiden Knechten bereits vor Ort. Es handelt sich um den 58jährigen Johann Gottfried Friedrichs, Scharfrichter der Landdrostei Osnabrück. Er erhält für seinen Dienst 1 Taler, 20 Gutegroschen und 5 Pfennige. Seine Knechte binden Kruis auf den Richtstuhl und entblößen seinen Hals und seine Schulter. Dann schlägt der Scharfrichter mit dem Schwert zu.

Die Leiche Kruis‘ wurde am Richtplatz auf dem Gierenberg vergraben. Es war die letzte Hinrichtung im Bereich des Amtes Lingen.

 

Quellen und Literatur

Stadtarchiv Lingen, Allgemeine Sammlung, Nr. 1040.

Stadtarchiv Lingen, Fotosammlung, Nr. 5016.

Stadtarchiv Lingen, Karten und Pläne, Nr. 336.

Eiynck, Andreas: Kurzer Prozess oder lange Folter. Lingener Scharfrichter im Dienste der Straftjustiz, in: Kivelingszeitung 2017, S. 150-153.

Jakobs, Heinz: Knapp Gerd. Eine Bluttat und ihr lebensgeschichtlicher Hintergrund, Lingen (Ems) 1995.

Fotos:

Das Gefängnis hinter dem Palais Danckelmann. Das Foto entstand 1911 vom Turm der Bonifatiuskirche aus. Unten rechts ist das Dach des Palais Danckelmann erkennbar. (Stadtarchiv Lingen, Fotosammlung, Nr. 5016)

Der Gierenberg auf einer Kreiskarte von 1909. (Stadtarchiv Lingen, Karten und Pläne, Nr. 336)

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