Archivalie des Monats November 2020
von Dr. Mirko Crabus
Bereits im 17. Jahrhundert stand am Strootbach, dort wo sich heute die Emslandhallen befinden, eine Papiermühle. Doch sie verlor wirtschaftlich immer mehr an Bedeutung, bis der Mahlbetrieb 1883 wohl endgültig eingestellt wurde. Schon früh bestand hier aber auch eine Gastwirtschaft. 1844 übernahm Ludwig Veltwisch Mühle und Gaststätte von seinen verstorbenen Eltern und führte sie fort. Zahlreiche Lingener Vereine hielten hier ihre Feste und Versammlungen ab. Bauern und Handwerker trafen sich zum Kegelspielen und Biertrinken. Volksbelustigungen wie Topfschlagen, Sackhüpfen und Semmelschnappen fanden statt. Wanderschauspieler traten auf und zeitweilig existierte auch ein Tennisplatz. Der zugehörige Schützenplatz ermöglichte außerdem das Feiern von Schützenfesten. So feierten hier schon 1849 die Kivelinge ihr Fest, und seit 1851 wurden auch die Bürgerschützenfeste auf der Papiermühle begangen.
Bald entstand der Papiermühle jedoch eine ernsthafte Konkurrenz. Heinrich Wilhelm Hungelmann hatte 1844 ein als „Höhe“ bekanntes Gelände erworben und baute es in der Folge zu einem Freizeit- und Vergnügungspark aus. 1873 versuchte Johannsen, der Wirt der Wilhelmshöhe, erstmals, die Bürgerschützen abzuwerben, hatte aber keinen Erfolg. Drei Jahre später beantragte Johannsen die Anlegung eines Schießstandes. 1878 fand das Bürgerschützenfest dann tatsächlich erstmals auf der Wilhelmshöhe statt, ebenso im Folgejahr.
1880 starb die Witwe Veltwisch, und die Stadt versuchte den Sohn und Erben Carl Veltwisch zum Verkauf der Papiermühle zu bewegen. Schließlich sei das Grundstück, so der Magistrat später, „zur Anlegung eines industriellen Etablissements besonders geeignet“. Doch Carl Veltwisch ging nicht darauf ein. Vielmehr versuchte er, die in den letzten Jahren vernachlässigte Papiermühle zu verbessern und neu zu etablieren. Nach Meinung des Magistrats trat er damit „in den Kampf der Konkurrenz mit der Wilhelmshöhe“. Die Bürgerschützen konnten von einer solchen Konkurrenz nur profitieren. 1880 und 1882 kehrten sie wieder zur Papiermühle zurück. Der Magistrat gestattete das Fest jedoch nur zögerlich. Tatsächlich genügten die Schießanlagen bei der Papiermühle längst nicht mehr den Sicherheitsanforderungen. Immerhin wohnten die Witwe Kubatz und der Mühlenbauer Strieker in Schußlinie. Nicht zum ersten Mal erklärte der Magistrat die Genehmigung 1882 für die letzte.
Allen Sicherheitsbedenken zum Trotz wollten die Bürgerschützen auch 1883 auf die Papiermühle. Zu ihrer Rechtfertigung schrieben sie dem Magistrat einen 11-seitigen Brief. Der antwortete mit einem 14-seitigen Brief. Die Papiermühle sei so nah an Eisenbahn, Kanal und öffentlichen Wegen gelegen, dass eine sichere Schusslinie nicht ermittelt werden könnte. Auch die Wilhelmshöhe sei in dieser Hinsicht nicht sonderlich günstig, doch könne man für sie unter bestimmten Bedingungen die Genehmigung erteilen. Zwar seien bisher keine Unfälle vorgekommen, das verdanke man aber lediglich „einem glücklichen Zufalle“. Auf der Wilhelmshöhe sei für die Schützen unter hohen Kosten extra ein großer Saal errichtet worden, während die Papiermühle in den letzten zehn Jahren doch recht heruntergewirtschaftet worden sei. Und so kommt der Magistrat zu dem Fazit: „Die Stadt Lingen ist zu klein, um zwei so große Vergnügungslocale, so theuer in der Anlage und in der Unterhaltung auf die Dauer besitzen zu können.“ Letztlich erlaubte der Magistrat das Schützenfest auf der Papiermühle dann aber doch. Erst 1885 feierte man wieder auf der Wilhelmshöhe, allerdings nur um 1886 – wieder unter erheblichen Bedenken seitens des Magistrats – zur Papiermühle zurückzukehren.
Die Konkurrenz zwischen Höhe und Papiermühle zeigte sich längst auch in anderen Bereichen. Der Arbeiterbildungsverein beging das Weihnachtsfest 1885 auf der Papiermühle. Als die Feierlichkeiten gemäß Polizeiverordnung um Punkt 22 Uhr beendet werden mussten, seien viele Gäste, so beschwerte sich Veltwisch später, einfach zur Wilhelmshöhe hinübergegangen, wo noch bis weit nach 1 Uhr morgens getanzt wurde. Der Magistrat nannte das eine „tendenziöse Verleumdung“, bedingt durch die gegenseitige Konkurrenz, und betonte erneut, dass die Stadt für zwei so große Lokale einfach nicht groß genug sei.
1889 wurde deutlich, dass auch das Bürgerschützenfest auf der Wilhelmshöhe seine Gegner hatte. Ein Nachbar, Amtsgerichtsassessor Oosthues, erhob Einspruch gegen das dortige Schießen. Die Schusslinie verlief genau über seine Besitzung. Sein Sohn habe dort schon Kugeln in den Tannen gefunden. Das Schießen gefährde sowohl seinen Besitz als auch sein Leben. Schließlich aber konnte Oosthues mit Freikarten besänftigt werden und das Schützenfest fand wie geplant auf der Wilhelmshöhe statt. Nachdem die Bürgerschützen 1891 zur Papiermühle zurückkehrten, war für das darauffolgende Jahr wieder die Wilhelmshöhe anvisiert. Und wieder beschwerte sich Oosthues. Die Kugeln flögen oft Tausende von Schritten, teils bis in den Springup und zum Gierenberg. „Als ich beim letzten Fest (…) den Garten vor meinem Hause betrat, hörte ich sogleich, nur wenige Meter von mir entfernt, eine Kugel in die Blätter meines Obstbaumes zischen.“ Eine Übertreibung, wie der Magistrat feststellte. Und wieder lösten Freikarten das Problem. 1895 erhob Oosthues erneut Einwände. Das Bürgerschützenfest fand trotzdem auf der Wilhelmshöhe statt. Danach aber verbot der Regierungspräsident von Osnabrück jegliches Schießen auf der Höhe. Es gab nur einen Ausweg: Eine neue Schießanlage musste her. Die Schussrichtung wies jetzt nicht mehr nach Norden, sondern – wie schon 1876 gefordert – nach Osten, eine Kommission bescheinigte die Unbedenklichkeit und auch Oosthues war nun beruhigt. Nachdem das Bürgerschützenfest seit 1878 ständig zwischen Wilhelmshöhe und Papiermühle gewechselt hatte, konnte es nun dauerhaft auf der Wilhelmshöhe stattfinden. Damit hatte sich die Wilhelmshöhe gegen ihren Konkurrenten durchgesetzt. 1894 hatten die Bürgerschützen das letzte Mal auf der Papiermühle gefeiert.
Nicht anders war es mit den Kivelingen. Auch das Kivelingsfest hatte sonst auf der Papiermühle stattgefunden. 1881 feierte man dann erstmals auf der Wilhelmshöhe. Nach einer Zeit ständigen Wechsels richteten die Kivelinge ihr Fest ab 1896 dann immer auf der Wilhelmshöhe aus. Die Papiermühle hatte danach nur noch wenige Jahre Bestand. 1903 wurde sie an das Eisenbahn-Ausbesserungswerk verkauft und schließlich abgerissen.
Quellen und LiteraturStadtarchiv Lingen, Altes Archiv, Nr. 3805 (Bd. 2).Stadtarchiv Lingen, Fotosammlung, Nr. 4634, Nr. 4680.Stadtarchiv Lingen, Fotoserien, Nr. 141.
Stadtarchiv Lingen, Lingensches Wochenblatt und Lingener Tagespost.
Diepenbrock: Die Lingener Kivelinge, Lingen 2005.Fricke: Erinnerungen an die Papiermühle, in: Kivelingszeitung 1934.Lengerich, van: Geschichte und Bedeutung der Lingener Wilhelmshöhe, in: Kivelingszeitung 1999.Tenfelde: Chronik Lingener Bürgerschützenverein 1838 e.V., Lingen 1988.Tenfelde: Die Mühlen im ehemaligen Landkreis Lingen, Sögel 1985.
Abb. 1: Die Papiermühle Ende des 19. Jahrhunderts
Abb. 2: Postkarten der Konkurrenten: Die Papiermühle (1899)…
Abb. 3: … und die Wilhelmshöhe (1905).