Archivalie des Monats September 2013
von Dr. Stephan Schwenke
Auf dem Stadtplan von 1853 erkennt man, dass die Marienstraße ursprünglich eine Sackgasse war, die vom Markt ausgehend vor dem großen Grundstück des herrschaftlichen Strückerschen Hofes endete. Mit Einweihung des Bahnhofes 1856 bekam die so neu entstandene Straße zu Ehren Königin Maries von Hannover den Namen Marienstraße. Die Anbindung an die Bahn brachte aber zunächst nicht den erhofften baulichen Aufschwung in der Stadt. Wie aus dem Stadtplan von 1875 zu ersehen, sind viele Grundstücke an der Marienstraße noch unbebaut.Das erste Gebäude, das in Bahnhofsnähe errichtet wurde, war das Bahnhofs-Hotel Nave. Nach 1875 kamen dann die auf der anderen Seite, näher an der Stadt liegenden Häuser Nummer 14 und 16 hinzu. Haus Nummer 14 ist das erste im Altstadtbereich befindliche Haus gewesen, das etwas zurückgezogen von der Straßenflucht erbaut wurde. Als Abgrenzung zur Straßenflucht und zur Wahrung des privaten Bereiches hatte man das Haus etwas versetzt von der Straßenführung errichtet und den Hauseingang von der Straßenseite an die Nebenseite verlegt.
Das Hotel zur Post
Im Haus Nummer 16 befand sich lange Jahre das Hotel zur Post, benannt nach dem 1888 direkt gegenüber errichteten stattlichen Postgebäude. Entstanden ist das in Ziegelbauweise ausgeführte Haus zwischen 1856 und 1874. Der zweigeschossige, massive Bau mit abgewaltem Dach war winkelförmig der Ecke angepasst. Zur Bahnhofsstraße hat es sechs Fensterachsen, zur abgeschrägten Ecke eine und zur Marienstraße fünf Achsen. Der Eingang lag zunächst, anders als heute wo er sich in dem Eck zum Bahnhof hin befindet, an der Marienstraße. Durch einen Flur betrat man links die verschiedenen Gasträume (u.a. Restaurant, Klubraum), die alle als Durchgangszimmer konzipiert sind. Auf der rechten Seite befanden sich eine weitere Stube, das Buffet und im Anbau ein kleiner Saal. Die Küche befand sich im Kellergeschoß. Sie war durch, technisch sehr fortschrittlich, einen Aufzug mit dem Buffetraum verbunden. Eine Treppe im Flur führte ins Obergeschoss. Sie endete in einer Art Vorplatz, von dem rechts und links schmale Flure zu den insgesamt 20 Hotelzimmern abgingen. Bad und Toiletten, jeweils 2, befanden sich auf dem Flur.
Das Hotel Nave
Das Hotel Nave wurde mehrfach umgebaut und erweitert. Um 1900 kaufte man das angrenzende Haus an der Marienstraße auf und gestaltete die Außenfassade neu, indem man die Ziegelbauweise, die man auf alten Fotos noch erkennen kann, verputzte. Diese „Verschönerungsmaßnahme“ kann man an allen Häusern ablesen, die in den 1890er Jahren zwischen Markt und Bogenhaus errichtet wurden. 1934/35 kaufte man das an der Bahnhofsstraße angrenzende Haus hinzu und erweiterte den Anbau an der Marienstraße durch einen Saalanbau. Genutzt wurde dieser Saal u.a. für Theateraufführungen und Vereinsversammlungen, später dann als Kino.
Quellen und Literatur:
Stadtarchiv Lingen, Dep. 29 b, Nr. 3587, Anlage eines Bahnhofs bei der Stadt Lingen 1850-1907;
Stadtarchiv Lingen, Dep. 29 b, Nr. 5584, Verzeichnis der im Stadtbezirk vorhandenen Gast- und Schenkwirtschaften, sowie der Kleinhandel mit Branntwein usw. 1921/1931;
Baldur Köster, Lingen. Architektur im Wandel von der Festung zur Bürger- und Universitätsstadt bis zur Industriestadt (bis 1930), Berlin 1988;
Karl-Heinz Goosmann, 90 Jahre Hotel Nave, Lingen 1959.