Bildnis eines Lingener Rektors um 1700

Professor für Rhetorik und Geschichte in Lingen 1701-1712

Von Johannes Leifeld

Am 6. Juli 1647 wurde Antonius van Bylert in der Hansestadt Zutphen als jüngster Sohn der Eheleute Evert van Bylert und Willekem Assing geboren. Wie er später in seiner Biografie, die er zusammen mit seinem Sohn Wilhelm herausgab, anmerkt, stammte er aus ärmlichen Verhältnissen, seine Eltern verstarben früh, und so wuchs er bei seinem Großvater mütterlicherseits, Anton Assing, auf. Vom 6. Lebensjahr an besuchte er die Lateinschule seines Ge­burtsortes, wo sich bald seine außergewöhnliche Sprachbegabung zeigte.

1663 zog er nach Burgsteinfurt, um dort Jura und die klassischen Sprachen zu studieren. Neben seinem Studium erteilte dem Sohn seines Professors Pagenstecher Privatunterricht. Als 1665 die Truppen des Bischofs Bernard von Galen Burgsteinfurt bedrohten, kehrte Bylert wie viele seiner Landsleute nach Holland zurück. Er begab sich nach Utrecht, um seine Studien in Jura, in Latein, Griechisch und Hebräisch fortzusetzen.  Dort wurde er 1666 zum Dr. promoviert. Es heißt, dass seine anschließende dreijährige Tätigkeit als Hofmeister im Haus des Barons von Heeckeren seinen weiteren Lebensweg stark beeinflusst habe, denn bald ließ er sich in Deventer theologisch ausbilden. 1670 erhielt er eine erste Anstellung an der Lateinschule seiner Geburtsstadt Zutphen und schloss noch im selben Jahr die Ehe mit Berentien Eggincks, einer Kaufmannstochter aus Hen­gelo. In Zutphen wurde 1672 auch sein zweiter Sohn Wilhelm geboren (s.o.), der später lange Jahre Pastor in Thuine war.

1674 verließ Antonius van Bylert seine Heimatstadt, um Prediger in Geesteren, nahe der deutschen Grenze zu werden. Nach dem Tod seiner Frau 1683 heiratete er kurze Zeit später Anna Sophie, die Tochter des Prädikanten Westenberg, und übernahm das Konrektorenamt der Lateinschule in Deventer. Dort blieb er, obwohl er in der Zwischenzeit verlockende Stellenangebote aus Utrecht und Haarlem erhielt. 1685 wurde der einzige Sohn aus zweiter Ehe, Bernar­dus van Bylert geboren, der nach dem Tod des Vaters bis 1719 als Prediger in Lingen und anschließend als Pastor in Freren fungierte.

Die Pontanus-Bronzeskulptur von 1987 hinter dem Professorenhaus. Eine Arbeit des Künstlers Joseph Krautwald aus Rheine

Pontanus holt den erfahrenen Philologen an die Lateinschule

1689 holte Heinrich Pontanus den erfahrenen Philologen als Rektor der Lateinschule und Prediger der reformierten Gemeinde nach Lingen. Ab 1698 war er dort zusätzlich Lektor für Geschichte und Beredsamkeit, ab 1701 schließlich ordentlicher Professor dieser Fachrichtungen. Von 1703 bis 1704 und von 1710 bis 1711 bekleidete er das Amt des Rektor Magnifikus der Akademie, 1712 verstarb er im Alter von 65 Jahren und wurde am 29. August 1712 in Lingen begraben.

Bylert: Titelseite des Carmen (1711)

Ein Gedicht über die Geschichte Lingens und seine Akademie

Als Bylert 1711 turnusgemäß das Rektorat an seinen Kollegen Tilburg weitergab, hielt er im Auditorium eine öffentliche Rede, wie das bei derartigen Anlässen allgemein üblich war. Das Ungewöhnliche aber bestand darin, dass sich der scheidende Amtsinhaber diesmal nicht mit einem hochwissenschaftlichen Thema auseinanderzusetzten gedachte, sondern völlig überraschend eine Form wählte, die sich inhaltlich und auch formal von allen älteren und späteren Ansprachen seiner Kollegen bei derartigen Anlässen unterschied. Im Mittelpunkt seiner Rede stand nämlich ein Gedicht, das die Geschichte Lingens und der damals noch jungen Akademie zum Thema hat.

Dieses „Carmen“ besteht aus 168 Zeilen im Vermaß elegischer Distichen und wird eingerahmt von einer vorangehenden Praefatio und einem abschließenden Epilog. Der Autor verbindet in seinem Vortrag – mal mit moralischem Zeigefinger, mal humorvoll augenzwinkernd vorgetragen – Ernstes und Heiteres, Geschichtsträchtiges und Anekdotisches, Bekanntes und Unbekanntes in einer sehr ansprechenden Ausdrucksweise, der in der Originalsprache die Leichtigkeit bei fast jedem Vers anzumerken ist.

In der Praefatio begründet Bylert seine Entscheidung für die ungewöhnliche Themenwahl mit seinem fortgeschrittenen Alter und den damit einhergehenden körperlichen Beschwerden. Ein inneres Gesetz habe ihm quasi auferlegt, „kein schwieriges und allzu kompliziertes Thema auszuwählen, für das viel Fleiß und geistige Anstrengung, die auch die Kräfte des Körpers angriffen, nötig seien und wozu man gewöhnlich mit dem Stift auf den Schreibtisch klopft und dabei an den Nägeln kaut“. Hingegen sei für ihn das Verfassen eines Gedichts eine willkommene Abwechslung und Gelegenheit, die Altersmüdigkeit zu verjagen. Er bat um Nachsicht bei denen, die eine der üblichen deklamatorischen Reden erwarteten, doch sei ja allgemein bekannt, dass er schon häufiger in seinem Leben derartige Reden verfasst habe. Jetzt wünsche er sich aber „keine Zuhörer von trauriger und griesgrämiger Natur“, sein Carmen möge Anlass geben zu heiterem Lächeln, weil es doch „als etwas Leichtes und Alltägliches daherkomme und auch von öffentlichem Interesse“ sei. Das Carmen über die Anfänge und Fortschritte Lingens möge gewissermaßen wie bei einem Festmahl als Appetizer wirken, „durch den ihr, hungriger nach dem bevorstehenden Hauptgericht gemacht, nach Hause zurückkehrt“. Mit einer wohlwollenden Publikumsanrede beschließt Bylert die Praefatio und lässt dann mit dem berühmten „Die Würfel sind gefallen!“ imaginär die Muse die Bühne betreten.

Bylert: Übergang von der Praefatio zum Carmen

Carmen – Gliederung

2-15                Allgemeine kulturphilosophische Überlegungen über Werden und Vergehen
von Staaten und Nationen

16-17              Überleitung auf Deutschland

24-29             Lingen als „lieblicher Ort“ mit historisch vorwegnehmenden Ereignissen:
Grafen von Tecklenburg
Maximilian von Büren
Anna von Büren ꚙ Wilhelm I. von Oranien

34-35              Ankündigung von Kriegsgeschehen

36-39              Vorsorgliche Befestigung Lingens

40-42              Wechselnde Regierungen in Lingen (Spanier/Oranier)

43-44              Ankündigung von zwei „verbürgten“ Wundern

45-56              Explosion des Pulverturms (1607);
wundersame Rettung des gläubigen Einwohners Latio Magnus (1. Narration)

57-82              Beispiel für das unglaublich brutale Verhalten der Spanier (2. Narration)

83-98              Erzählung vom Mordversuch am Tyrannen Dionysios von Syrakus (3. Narration)

99-126            Lingen im Aufschwung unter oranischer Herrschaft:

101-108          Religionspolitik

109-122          Bildungspolitik

123-126          Handelspolitik

127-130          Zwiegespräch zwischen dem lyrischen Ich und einem Kritiker

131-138          Positive Charakterisierung der Lingener Bevölkerung

139-158          Attraktivität der Akademie auch für ausländische Professoren

159-169          Immatrikulation von Studenten aller Stände. Vorbildfunktion der Studenten:
Spätere Übernahme von Funktionen in Gesellschaft, Staat und Kirche.

170-173          Abweisung des Kritikers

Der 1961 wiederaufgebaute Pulverturm

Das Gedicht: Carmen de Lingae scholarumque initiis et incrementis

Die festgesetzte Wiederkehr der Gestirne bedrängt alle Orte und Nationen, und die unterschiedlichen Wechselfälle des Schicksals und ihre Bestimmungen: Sie bleiben bestehen.[1]

Keineswegs kann man viele Gegenden für jene Dinge in Erfahrung bringen,
und kaum können sie zerbröckeltes Restgestein eines antiken Kapitells vorweisen.

Es gibt Untergegangenes, das sich einst in dichter Dunkelheit verborgen hielt,
und bald zeigt es sein stolzes Haupt im Licht.

Es gibt Tempel, die einst den Musen geweiht waren,
aber jetzt hält tiefe Barbarei sie bedrückt.

Es gibt Menschen, welche von der Unwissenheit viele Jahrhunderte lang unterdrückt wurden, doch auf einmal erleben sie den Glanz eines ausgezeichneten Verstandes, auf einmal die Ehre einer eigenen vortrefflichen Denkkraft.

Meinen Worten werden Frankreich und Großbritannien beipflichten,
Rom und Griechenland werden Zeugen sein.

Beide Teile des deutschen Reiches[2], die aus dem reißenden Rhein trinken,
staunen über solche Schicksale und ihre Wechselfälle.

Vor unseren Augen liegt eine Region, bewohnt von nur wenigen Siedlern,
man nennt sie das alte Lingen[3].

Ein Tal war es, die Mitte durchströmte ein schlammiger Sumpf
an der Stelle, wo jetzt das neue Lingen[4] weithin sichtbar ist.

Hügel umgaben es, wie jetzt, Weiden und Dornensträucher,
ein Waldtal und nicht weit entfernt ein dreifacher und dichter Wald.

Hier spendete ein bequemes Landhaus jedes Jahr seinem Herrn,
dem Grafen von Tecklenburg[5], wohlige Wärme, wenn er zur Jagd ging.

Noch nicht hatte er es mit dem übrigen Besitz an Maximilian von Büren[6] abgetreten;
der hatte sie vom bewaffneten Kaiser als Geschenk und Ehre erhalten.[7]

Auch hatte die hochberühmte Tochter[8] als Braut
ihrem Bräutigam noch nicht die Mitgift gebracht.

Hier herrschte im Wechsel Abgeschiedenheit und ein Lager, das der Diana[9] heilig war,[10]
hier waren noch List und Täuschung üblich, wenn Wild zu erlegen war.

Hier bellten Hunde, und Jagdhörner schmetterten,
kurzum, die sonst alltäglichen Sorgen hatte man nicht. 

Trotzdem neidete uns Mars[11] gleichsam diesen Frieden,
und bald legte sich, wie das gewöhnlich passiert, seine wütende Hand auf unser Tal.

Es entsteht ein Kastell[12], und das Lager wird mit einem hohen Befestigungswall umgeben.
Um dieses Lager herum führt ein Graben Sumpfwasser.

Dadurch, dass die Nachbarn ihre befohlenen Abgaben bringen,
soll es den Menschen erlaubt sein, zu jagen und von der Beute zu leben.[13]

Dann folgt die Unsicherheit wegen der wechselnden Herrschaften, zunächst spanischen Rechts. Mittlerweile verehrt Lingen die Herrschaftszeichen der Holländer und genießt deren Schutz.[14] 

Inzwischen geschehen hier auf Erden zwei seltene Wunder,
glaubwürdig nur mit den Augen als Zeugen.

Es war eine Burg vorhanden[15] und die ungeheure Kraft jenes schwefelhaltigen Pulvers in einer Höhle, das den Wachposten Tod und Verderben brachte.

Es wird entzündet durch den schrecklichen Schlag eines funkelnden Blitzes;
Burg und Männer werden in die schwarzen Wolken geschleudert.[16]

Unter ihnen ist Latio, mit Beinamen „der Große“ genannt.[17]
(Wie gut wird der gerettet, den Gott selbst beschützt!)

Ein auffallendes Vorzeichen! Er flog ca. 1000 Schritte durch die Luft,
und in Flammen berührte er ringsherum den überflogenen Boden.

Er berührt lebend den Boden, aber er ist auf beiden Augen blind,
Ursache des Übels sind die Blitze, das Pulver und die Flugbahn.

Unsere Mitbürger sahen diesen unter armen bettelnden Greisen,
wie er einen Barmherzigen um eine kleine Spende bat.

Schaut! Eine andere naturwidrige Erscheinung: Ein altersgrauer Mann! Dieser Betrachter
des Geschehens hat es persönlich mir mündlich anvertraut:

Wenn jemand noch während seines Wachdienstes, um Beute zu machen, auf holländisches Gebiet hinauslief, wurde sein Tod mit dem Strang herbeigeführt.[18]

Wegen eines ähnlichen Vergehens hängten dagegen die Spanier hier jeden holländischen Soldaten auf, wenn er gefangen genommen worden war.

Und nun hielten sie sieben oder mehrere Personen gefangen,
die höchste Strafe wurde allen Angeklagten angezeigt:

Sie standen unter dem tödlichen Galgen, das Leben wurde nun einem Teil (von ihnen) geschenkt, der andere Teil sollte mit dem Strick zugrunde gehen.

Nach Kriegsbrauch wird unter Trommelschlägen der launische Würfel geworfen,
die Punkte würden Leben oder Tod bedeuten.

Unter den Würfelnden war ein Brüderpaar; das Los der Schlinge fiel auf den einen,
vom Tod mit dem Strang befreit aber wurde der andere.

In seiner Heimat hatte der Unterlegene zusammen mit seiner Frau Kinder,
der Gewinner hingegen war unverheiratet und hatte keine Familie zu Hause.

Dieser Glückliche ließ dem armen Bruder den Vorrang:
„Es ist gleich nicht die Reihe an dir zu sterben“, sagte er, „sondern an mir, mein Lieber!

Für dich werde ich auf das Gerüst steigen.“ Er tat es und empfing an seinem Hals den Strick,
und wie von allein hing die Last am Galgen.

Allen Zeiten ein erinnerungswürdiges Beispiel, da nun einmal
eine solche Freundschaft unter Brüdern gewöhnlich selten ist.

Wenn es irgendein Ehrgefühl gibt oder, wenn du, Richter, ein gutes Herz hast:
Dann waren doch beide Brüder der Begnadigung würdig.

Jetzt aber ist das Vergehen ein zweifaches. Der Unschuldige wird zur Bestrafung geschickt;
damit ist der Richter nicht rechtmäßig Herr über dessen Leben und Tod.

Groß (hingegen) ist der Name, den Dionysios[19] verdient hat,
wenn er auch in Wort und Tat ein blutrünstiger Tyrann war.

Zu seinen Lebzeiten fand eine Tat unter Freunden statt, die unserem Fall ähnlich war,
sie war aber von einem besseren Ausgang.

Es gab ein Freundespaar und schon lange in brüderlicher Gesinnung verbunden,
der eine hieß Damon, der andere Phintias.[20]

Und nach der Verurteilung bittet der erste um Lebenszeit und Aufschub der Hinrichtung;
ihn trieb die Sorge, sein Haus noch einmal zu sehen.

Der andere bürgt vor dem König für die Rückkehr des Freundes,
der fortgeht, um seine privaten Angelegenheiten zu ordnen.

Obwohl er frei davongehen konnte, kehrte er zur festgesetzten Zeit
zurück zu der Schlinge und zur Hinrichtungsstätte.

Da aber befiel ein Staunen den Tyrannen von Sizilien, es überwältigte ihn,
und er erließ die Strafe aufgrund der so großen Freundschaft.

Erregt bot er den beiden seine Zuneigung und sein Vertrauen an,
wenn er in der Reihenfolge der Dritte sein könne.

Um nicht weiter abzuschweifen; Lingen erlangte endlich ein gütiges Schicksal,
und es wurde dem Ort aufgetragen, sein Haupt vom Boden zu erheben.[21]

Endlich begann das große Werk der reinen Religion,[22]
sich mit dem Fürsten von Oranien[23] zu gestalten.[24] 

In allen Kirchen der Gegend werden gottesdienstliche Handlungen zum Besseren verändert,
alle Altäre, Heiligenstatuen, erfundene Gottheiten werden vernichtet.[25]

Bald hörten vorn auf den Kanzeln die hässlichen Lügen auf,
die Predigt verkündete nur noch das Wort Gottes.[26]

Kein Gott wurde mehr mit dem Mund verschlungen[27], was vormals Mehl war,
die lebenspendenden Speisen wurden am öffentlichen Abendmahlstisch gereicht.

Derselbe berühmte Statthalter regte auch (die Gründung von) Schulen an, und bald
wird die frühe Jugend in neuen gottesdienstlichen Feiern unterrichtet.[28]

Griechische und mit ihnen zusammen lateinische Schriften werden unterrichtet,
auch anderes, wenn der wissbegierige Verstand eines Schülers es aufzunehmen mochte.

Schon könntest du an Zahl und Ausstattung die Schulen[29], zusammen mit den Stadtmauern,
die Bürger mit ihrem Vermögen wachsen sehen.

Zu diesen so großen Dingen kam der Ruhm der Akademie[30] hinzu
mit deinen Geldern, König Wilhelm[31], aus dem Staatsschatz.

Den Vorteil und den Reichtum Lingens begründest und vermehrst nun du,
König Friedrich[32], gütigster aller Könige.

All das verehrt und ziert deine Krone ungemein,
wobei du selbst verschwenderisch und freigiebig die Musen[33] verehrst.

Jetzt wohnen hier häufig Apoll[34] und sein Musenchor,
auch hier trinkt man nun Wasser aus der kastalischen Quelle.[35]

Sieh da, der hörnertragende Flussgott der Ems[36], er ist es gewohnt,
Ceres[37] und das gemeine Volk auf Pünten hin- und herzufahren,

er trägt jetzt auch fröhlich die Doktoren und die jugendlichen Studenten
auf ihren Kähnen hin und her.

„Was wird denn das Westfalenland[38] bringen, das diesen Göttern angemessen wäre,
was wird es den Quellen geben unter eurem Gestirn?“, fragst du.[39]

Wer auch immer du bist, du hast ja keine Ahnung von unseren Menschen und unserem Ort,
hör auf, in der Öffentlichkeit ironisch und so gehässig zu reden:

„Hier ist die Heimat der Schweine, sehr stumpfsinnig unter dem wolkenverhangenen Himmel, den auch Phryger, Böotier und die trägen Umbrer[40] haben.“

Entweder hast du dich schimpflich hierher verirrt, oder es ist deine Gewohnheit,
giftige Pfeile zu schicken.

Nicht sehr weit von uns lenkt der Sonnengott die Zügel seines Wagens[41],
hier sind die Herzen der Menschen nicht so sehr hart wegen des fehlenden Tageslichts.

Tatsächlich gibt es hier bei den Einwohnern Positives,
sie haben Witz, Bauernschläue, eine rasche Auffassungsgabe und Geisteskraft.

Nicht nur lehrt hier der Einheimische, sondern auch aus weit entfernten Gegenden finden hochberühmte Lehrer nach Lingen.

Hier lehren Franzosen[42], Holländer[43] und Deutsche[44], jeder einzelne soll mit Würde verkünden, was er an Kenntnissen als Professor seines Fachs zu bieten hat.

Pontanus[45], ein würdevoller Redner, stellte das Gymnasium unserer Stadt
unter die königliche Schirmherrschaft.

Bald verkündete derselbe seinen Schüler die großen Mysterien des Heils[46],
gemischt mit Frömmigkeit.

Bylert[47] untersucht die Historie, er lobt das attische Griechisch,
dringend rät er dazu, das Übrige nach Cicero lateinisch auszudrücken.

Das Wort Gottes und den religiösen Kultus fügt Wilhelmius[48] hinzu,
Strenges und Richtiges lehrt er, um zu den himmlischen Wohnungen zu gelangen.

Verbruggen[49], Kollege von Fach und Titel, er trägt mit gütiger Hand Realien,
morgenländische Sprachen und die religiösen Riten vor.

Die antiken und modernen Gesetzestafeln lehrst du,
Touillieu[50], privates und öffentliches Recht.

Du, Lüning[51], du ziehst die flüchtigen Substanzen aus den Mineralien[52],
mit Kräutern befreist du die müden Organe von ihren Krankheiten.

Beide Weisheiten Tilburgs[53] führen nach gründlichem Studium
die zarten Geister durch dich zu den erwünschten Quellen (der Literatur).

Ich habe gelesen, dass so bedeutende Namen in die Matrikel unserer akademischen Vereinigung eingeschrieben sind, nicht nur Leute aus dem einfachen Volk,
sondern auch von Adel[54], sollst du wissen, guter Mann.

Schon soviel Ruhm, soviel Berühmtheit hat auf unserem Erdenrund
dieses Lingen erlangt, dass ich damit zufrieden bin.

Wie sehr ist es ein Zeichen unserer hochgeschätzten Jugend, dass sie aus allen Richtungen hierher zusammenströmt[55] und diese neue Akademie anderen Schulen vorzieht.[56]

Nach ihrer Entlassung begannen die Absolventen von hier aus für ihre Mitbürger
eine Zierde und überhaupt berühmte Vorbilder zu sein.

Hier rühmt sich mit ihnen die Öffentlichkeit, dort die Kirche,
und an anderen Orten hocherfreut die Justiz.

Geh jetzt, und mach nur meine Lobeshymnen nieder, du Zoilos[57]:
Auch Besseres pflegst du ja mit deinen Bemerkungen auf deine Art da anzukläffen.

Gott wird mir mehr anrechnen; leb du nur weiter, und mehr Kritik wird dir nur leidvoll schaden: Pass bloß auf, dass du nicht platzt.[58]

[1] Kulturphilosophischer Ansatz, der der Antike verpflichtet ist (allgemeine Vorstellung vom Werden und Vergehen/Kreislauf).

[2] Diesseits und jenseits des Rheins.

[3] Die Bauerschaft/Furtsiedlung „Altenlingen“ mit Oberhof wird schon 975 im Heberegister der Abtei Werden als „Liinga“ erwähnt. Die Urkunde von 1150 („Aldenlingen“) setzt dann die Existenz Lingens voraus.

[4] Die Stadtwerdung Lingens beginnt vor 1150, die alte Furtsiedlung wird durch einen tecklenburgischen Hof an dem Emstalrand abgelöst. Graf Otto von Tecklenburg lässt einen Marktplatz in der Nähe der St. Walburgiskirche entstehen. Diese „villa Linge“ (1227) wird später als „civitas Linge“ (1306) bezeichnet. Treffender kennzeichnen die Termini „forum“ (1291) und „oppidum“ (1327) Lingen als „universi castellani oppidi“ die städtische Qualität wegen der inzwischen erlangten Markt-, Pfarr- und Befestigungsrechte.

[5] Die Grafschaft Lingen gehörte bis 1547 zum Herrschaftsgebiet der Grafen von Tecklenburg. Weil aber Graf Conrad („der dulle Cord“) in Ungnade gefallen war, zog Kaiser Karl V. dessen Güter als verwirktes Lehen ein und übergab die Grafschaft Lingen Maximilian, Graf von Egmond und Büren.

[6] 1548 wird Graf Maximilian (†1548) von Kaiser Karl V. mit der Grafschaft Lingen belehnt.

[7] Maximilians Verdienste im Schmalkaldischen Krieg (1546-1547) der evangelischen Landstände gegen den katholischen Kaiser.

[8] Maximilians einzige Tochter Anna heiratete 1550 den Prinzen Wilhelm von Oranien, musste aber, um die Zustimmung des Kaisers zu erhalten, diesem die Grafschaft für 120.000 Karlsgulden danach wieder verkaufen.

[9] Diana, römische Göttin der Jagd.

[10] Idyllische Stille, die nur manchmal vom Jagdlärm unterbrochen wurde.

[11] Mars, römischer Gott des Krieges.

[12] Das Kastell hatte die Form eines Rechtecks und dehnte sich aus von der Marienstraße bis zur Bonifatiuskirche und von der Castellstraße bis hinter das heutige Central-Kino (s. Anm. 17).

[13] Die Jagd war noch kein Adelsprivileg.

[14] Die spanische Herrschaft dauerte zunächst bis 1597. In diesem Jahr erscheint Prinz Moritz von Oranien vor Lingen und nimmt die inzwischen stark befestigte Stadt ein, muss sie aber nach acht Jahren wieder an die Spanier unter Spinola abtreten. 1633 erscheint Prinz Friedrich Heinrich, nach dem Tode seines kinderlosen Bruders Moritz der letzte Vertreter des oranischen Hauses, vor den Toren Lingens und lässt sich huldigen.

[15] Die Burgstraße ist nach der Burg benannt, die innerhalb des Kastells lag und schon vor 1320 bestand. Sie war mit Turm und Kapelle ausgestattet, ganz in der Nähe auch der Pulverturm. Neuere Forschungen hingegen lokalisieren die Burg um den heutigen Universitätsplatz. Über die ma. Burg ist nichts Genaues bekannt; erste Abbildungen aus der Mitte des 16. Jhs. sind sehr schematisch. Bei Merian (1647) ist eine renaissancezeitliche Schlossanlage zu erkennen.

[16] Anlässlich der Geburtstagsfeier Philipps II. im Jahre 1607 explodierte der Pulverturm innerhalb des Kastells. Die Explosion zog einen verheerenden Brand in der Stadt nach sich. Große Teile der Burganlage wurden zerstört. Gleichzeitig wütete die Pest. Über das Explosionsunglück gibt es drei Berichte (vgl. L. Remling: Kivelingszeitung 1999, S. 97-101).

[17] Van Hoven nennt im Kommentar den Geretteten nicht „Latio“, sondern „Mangels“; vielleicht fälschlich aus „Magnus“ entstanden; s. Antonii Bylertii carmen de Lingae Scholarum eius initiis processibus et incrementis 1711. Emendatum, scholiis historicis auctum recudi curavit J. D. van Hoven, Fasc. III., Lingen 1734, S. 88 f.
Van Hoven zitiert (S. 88) ein Chronicon des Martinus Hamconius: Certamen Catholicorum cum Calvinistis, Löwen 1612, zu diesem Ereignis von 1607. Hier heißt der Freund Soranus:
ARX LABAT; EXVSTA PERSTAT COMES ARCE SORANVS:
PAX PAVET, INFRACTO CRVDA NOCERE VlRO.
„Die Festung wankt, doch Soranus, der Freund, bleibt standhaft in der verbrannten Festung:
Der Friede bebt vor Angst, blutige Geschehnisse haben dem schon geschwächten Mann Schaden zugefügt.“

[18] Vgl. Bernhard Anton Goldschmidt: Geschichte der Grafschaft Lingen, Osnabrück 1850, repr. Nachdruck Osnabrück 1975, S. 79 ff.

[19] Dionysios I. (430-367 v. Chr.) oder wahrscheinlicher sein Sohn, Dionysios II. (396-337 v. Chr.), Tyrannen von Syrakus.

[20] Damon und Phintias sind die Helden einer antiken Erzählung, in der die Freundschaft und Treue der beiden verherrlicht wird. Die bekannteste Rezeption dieser Geschichte ist wohl Friedrich Schillers „Die Bürgschaft“ (1798).

[21] Gemeint ist die Zeit der Oranier in Lingen von 1633 bis 1702, die nur durch das kurze Intermezzo (1672-1674) des Bischofs von Münster („Kanonenbischof Christoph Bernhard von Galen) unterbrochen wurde. Unter Richter Sylvester Danckelmann (1601-1679) prosperierte die Stadt.

[22] Gemeint ist das reformierte Bekenntnis.

[23] Wilhelm III. von Oranien (1650-1702), ab 1672 Statthalter der Niederlande, ab 1689 König von Großbritannien.

[24] Prinz Wilhelm von Oranien forcierte die reformatorischen Bemühungen in der Grafschaft Lingen.

[25] Zwecks Durchsetzung der Reformation wurde 1648 die Lingener Pfarrkirche konfisziert, die Altäre demoliert, die Bilder in den Kirchen weggeschafft und „von allen Spuren des Papsttums gesäubert“ (Goldmann, S. 121).

[26] Die Schrift als alleinige Quelle des Glaubens (sola scriptura).

[27] War auch für Luther Christus im Abendmahl real präsent, lehrte Calvin dagegen, dass Christus während des Abendmahls durch die Kraft des Heiligen Geistes im Glauben gegenwärtig sei.

[28] Ab 1674 wurde das Schulwesen innerhalb kürzester Zeit reformierten Schullehrern übertragen und blieb bis 1815 ganz in der Verantwortlichkeit der reformierten Kirche, die eine enge Verzahnung von Bildung und Religion anstrebte.

[29] Eine Lateinschule mit drei Lehrkräften wurde bereits 1663 errichtet, im Jahr 1711 waren ca. 70 Studenten eingeschrieben.

[30] Zeit der höchsten Blüte der Akademie zwischen 1705 und 1720.

[31] Wilhelm III. von Oranien, *1650, ab 1672 Erbstatthalter der Niederlande und ab 1688 bis zu seinem Tod 1702 in Personalunion König von England, Schottland und Irland.

[32] 1702 geht die Herrschaft über die Grafschaft Lingen an den preußischen König Friedrich I./III. (1688-1713) über.

[33] Synonym für Bildung, Gelehrsamkeit, Wissenschaft.

[34] Der Gott Phoebus Apollon ist der Beschützer des Chors der Musen. Die neun Musen bezeichnen in der griechischen Mythologie die Schutzgöttinnen der schönen Künste und Wissenschaften.

[35] Die kastalische Quelle befindet sich am Fuße des Parnass in Delphi. In der Antike war diese Quelle Apoll und den Musen geweiht. Trank man aus dieser Quelle, so der Mythos, verlieh das Wasser dem Trinkenden die Gabe zu dichten.

[36] Flussgötter wurden in der Antike häufig als „gehörnt“ beschrieben, weil manchmal Bäume aus seinem Wasser herausragen.

[37] Ceres, die Göttin des Ackerbaus; hier als Synonym für Getreide.

[38] Lingen gehörte zum Ende des Heiligen Römischen Reiches zum „Westfälischen Reichskreis“. In den Matrikeleintragungen ist auch häufiger als Herkunftsort „Linga Guestphalus“ zu lesen

[39] Rhetorische Figur der Sermocinatio: Einführung einer Person, die in Übereinstimmung mit der Art ihres Charakters (hier: Kritiker) einen Gegenpart übernimmt, um Spannung zu erhöhen. (s. auch Z. 170-173).

[40] Synonyma aus der Antike für eine sehr ländlich geprägte Bevölkerung.

[41] Das Bild aus der Antike vom Sonnengott, der im lichten Gewand mit einer Strahlenkrone um sein Haupt den von Feuerpferden gezogenen Sonnenwagen lenkt. Im Westen taucht das Gefährt in den Ozean, um am nächsten Tag im Osten wieder aufzugehen.

[42] Zum Beispiel der Jurist Peter de Toullieu, *1669 Paris; Henry Filette, ab 1709 französischer Sprach- und Tanzmeister.

[43] Die meisten Professoren der ersten zwei Jahrzehnte seit Gründung der Akademie waren Holländer wie Anton Bylert selbst.

[44] Zum Beispiel Heinrich Wilhelm Lüning, der erste Professor der Medizin, *1681 Quakenbrück, Studium in Jena und Groningen, Dr. med., 1707-1738 Professor in Lingen, Medizinaldirektor, Hofrat, erster Bürgermeister der Stadt Lingen, ab 1728 Kurator, †1755 Lingen.

[45] Heinrich Pontanus, *1652 Burgsteinfurt, Studium in Groningen, 1675 Pfarrer und Schulrektor in Meppel, ab 1678 1. Prediger in Lingen, wo er das Ansinnen Wilhelms III. von Oranien, dort eine Hohe Schule zu errichten, maßgeblich unterstützte, 1697 Gründungsrektor und erster Theologieprofessor; 1699 Dr. h.c. Univ. Leiden, 1700 Professor für Theologie in Utrecht, 1702 Rektor, ab 1704 Professur für Kirchengeschichte, †1714 ebd. Über die Familie Pontanus siehe auch: Hans Jürgen Warnecke: Von Schülern und Professoren, in: 400 Jahre Arnoldinum (Festschrift), Greven 1988, S. 62-63.

[46] Gemeint ist die reformierte Religion.

[47] Anton van Bylert, (Autor dieser Rektoratsrede), Lebensdaten in der Einleitung.

[48] Johannes Wilhelmius, *1671 Harderwijk, 1681 stud. theol. Leiden, Dr. theol., 1695 Prediger in Twisk, 1700-1713 Professor und 1. Stadtprediger in Lingen, 1713 Prediger in Rotterdam, †1754 ebd.

[49] Otto Verbruggen, *1670 Den Haag, Studium in Leiden, ab 1697 Professor für orientalische und klassische Sprachen, ab 1702 für Theologie in Lingen, 1706 Dr. h.c. Univ. Frankfurt/O., galt als Universalgelehrter, 1717 Berufung an die Universität Groningen, 1741 Mitglied der Kgl. Akademie der Wissenschaften in Berlin, †1745 Groningen.

[50] Peter de Toullieu, *1669 Paris, Jurist, verließ 1688 Frankreich (Edikt von Nantes), Studium an der Universität Franeker, 1695 Dr. jur. in Utrecht, 1699-1717 Professor in Lingen, ab 1717 in Groningen; †1734 ebd.

[51] Heinrich Wilhelm Lüning, *1681 Quakenbrück, Studium in Jena und Groningen, Dr. med., 1707-1738 Professor in Lingen, Medizinaldirektor, Hofrat, erster Bürgermeister der Stadt Lingen, ab 1728 Kurator, †1755 Lingen.

[52] Bei der Gründung der Universität 1697 war überhaupt kein mathematisch-naturwissenschaftlicher Unterricht vorgesehen, später überließ man den Vortrag in den Naturwissenschaften dem Medizinprofessor.

[53] Nikolaus Tilborg, *1664 Utrecht, stud. theol. und phil. ebd., Dr. phil., 1695 Prediger, 1702-1724 Professor für Philosophie und Physik in Lingen, 1724 Professor in Groningen, †1741 ebd.; mit „beiden Weisheiten“ sind hier wohl die (heilige) Theologie und die (profane) Philologie gemeint.

[54] Z.B. J. Nic. ab Essen [28]; Sylvester Diedrich [93] und Wilhelm Friedrich von Danckelmann [152]; Wilhelm von Selbach aus Groningen [87]; Joh. de Foy aus Elberfeld [201]; Phil. Ludw. von Moltke aus Wulften bei Osnabrück [207]; Ludolf von Heeckeren aus Zutphen [237].

[55] Nicht nur aus den Grafschaften Lingen und Tecklenburg und den übrigen preußischen Gebieten im Westen, sondern auch aus Bentheim, Ostfriesland, der Pfalz und aus den nördlichen holländischen Provinzen zog es Studenten nach Lingen.

[56] Erster deutlicher Rückgang der Zahl der Studierenden wenige Jahre nach Bylerts Amtsniederlegung.

[57] Zoilos, griechischer Redner, „Berufskritiker“, bekannt durch seine stümperhafte Kritik an Homer.

[58] Anspielung auf Martial 9, 97: Rumpitur invidia quidam. Das flotte Epigramm versammelt auf launige Weise alle Gründe, die es dem Dichter auf dem Höhepunkt seiner Popularität erlauben, stolz und zufrieden zu sein.

Die Hohe Schule Lingen - heute Malschule - erbaut 1680

Mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele Philologe

Im folgenden Epilog dieser Rede zeigt Bylert ein durchaus ausgeprägtes Selbstbewusstsein, das sich bereits im Titel der Ansprache („für die Philologie und gegen ihre weiter zunehmende Geringschätzung“) andeutet; einen Vergleich mit anderen Dichtern und Rednern brauche er nicht zu scheuen, selbst, so scheint er augenzwinkernd zu versichern, wenn es einen noch so diskriminierenden Dichterwettkampf wie zu Zeiten des römischen Kaisers Caligula gäbe, der die unterlegenen Teilnehmer auspeitschen ließ oder zwang, ihre Ergebnisse auf den Täfelchen mit eigener Zunge zu löschen. Überhaupt zieht der scheidende Rektor eine positive Bilanz seiner Amtszeit, die ohne tumultartige studentische Ausschweifungen oder Kriegseinwirkungen auskam; die junge Akademie habe sich mit ihrer fleißigen, sittsamen und vorbildlichen Studentenschaft weiterhin positiv entwickeln können. Am Ende der Zeremonie steht die Übergabe der Amtsinsignien: das silberne Szepter, der purpurrote Mantel mit der goldgelbbefransten Bordüre und das Barett, verbunden mit dem Wunsch, die Akademie nach Ablauf des nächsten Amtsjahres in einem ebenso blühenden Zustand zu sehen. Der Tod Bylerts am 29. August 1712 hat allerdings diesen Wunsch verhindert.

Schon Bernhard Beestermöller hat in seiner noch heute maßgeblichen Dissertation über die Lingener Akademie die Leistung Bylerts differenziert betrachtet. „Sein hohes Ansehen bei seinen Amtsgenossen und seinen Schülern verdankte er überhaupt weniger seinen wissenschaftlichen Arbeiten als seinem unermüdlichen Eifer und seinem großen pädagogischen Geschick. An wissenschaftlicher Bedeutung stand er hinter den anderen Mitgliedern des ersten Professorenkollegiums weit zurück.“ Gleichzeitig bescheinigte er ihm ein hohes sprachliches Ausdrucksvermögen und eine immense Belesenheit in den antiken Dichtern. Latein und Griechisch beherrschte er schon in seinen Schulzeiten besser als sämtliche Mitschüler. Vielleicht kann man sagen, dass sich Bylert primär als ein Schulmann sah, der darin bestrebt war, seinen Schülern eine gediegene Sprachbeherrschung zu vermitteln, und weniger als forschender Hochschullehrer.  Trotzdem sticht er aus der Reihe seiner Kollegen innerhalb seiner Fakultät heraus. „Wirklich mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele Philologe waren nur Anton van Bylert am Anfang, und Friedrich Heidekamp am Ausgang des 18. Jahrhunderts“, resümiert Beestermöller.

Wilhelm III. (1650-1701), Statthalter der Niederlande und König von England

Inhaltlich subjektiv, literarisch aber ein köstliches Juwel

Friedrich Heinrich Stosch, Sohn eines bekannten Lingener Theologen Ferdinand Stosch, charakterisiert Bylert 1792 mit den knappen Worten: „Zeit und Nachwelt legte ihm den Ruhm eines bescheidenen Gelehrten und eines rechtschaffenen Christen bei.“ Möglicherweise klingen da noch Erinnerungen seines Vaters aus den Lingener Jahren nach. Van Bylert hat u. a. mehrere epideiktische Reden auf das oranische bzw. preußische Herrscherhaus gehalten, wie das damals üblich war und auch erwartet wurde. Nach Beestermöller verdiene aber nur das „Carmen de Lingae scholarumque initiis et incrementis“ eine besondere Erwähnung, weil es der erste Versuch sei, die Geschichte des Akademischen Gymnasiums und der Lateinschule zur Darstellung zu bringen. „Der Inhalt des Gedichtes ist freilich recht dürftig. In allgemeinen Phrasen besingt er das Land Westfalen und die Stadt Lingen und erwähnt nur ganz kurz die Gründung des Akademischen Gymnasiums und die ersten Professoren.“ Dieses schnelle Urteil Beestermöllers scheint mir zu kurz gegriffen zu sein. Sicherlich kommt das „Carmen“ nicht als eine ernst zu nehmende historische Quelle über Lingen in Betracht, und seine Ideologielastigkeit im politischen wie im konfessionellen Sinn ist mit Händen zu greifen, was wiederum nicht sehr überrascht, weil die Hohe Schule in Lingen eine Gründung der Oranier mit reformierter Ausrichtung gewesen ist.

Als eine Geschichtsabhandlung hat der Professor das Carmen sicher nicht gesehen, denn einen sehr breiten Raum nimmt in der Praefatio seine Rechtfertigung ein, von der Tradition einer erwarteten „erhabenen Rede“ abzurücken und dafür etwas Spielerisches und Entspanntes zu bieten. Das ist natürlich pure Ironie. Die 84 Distichen kommen so leicht daher, und leicht zu beobachten ist auch die außergewöhnliche Kompetenz Bylerts in der Beherrschung des Lateinischen. Das weiß er selbst, da er gleich im Epilog konstatiert, dass er „die Geheimnisse der Poesie nicht ohne die gehörige Sorgfalt und Vorbereitung angegangen sei und eine solche Elegie nun nicht zum ersten Mal in Form eines Probestücks verfasst habe“. „Dieses schöne Gedicht“, wie es Stosch genannt hat, ist also inhaltlich deutlich subjektiv, literarisch aber ist es ein köstliches Juwel, das – so der Wunsch Bylerts – quasi als „Vorspeise“ weiteres Interesse an der Lingener Geschichte wecken möge.
Damit bleibt der Gedanke des Verfassers auch nach über 200 Jahren sehr aktuell.

Von den Insignien der Lingener Akademie hat nur das Zepter von 1699 die Zeiten überdauert.

Quellen und Anmerkungen:

Nicht nur durch die Autobiografie, sondern auch durch Hinweise aus dem Umfeld Bylerts aus dem 18. Jahrhundert (s. u. Stosch) sind wir über die Lebensverhältnisse des Professors recht gut unterrichtet.

Wilhelm van Bylert *1672 Zutphen, Prediger in Thuine, ꚙ1709 Joh. Elis. Uwens in Deventer, †1761 Thuine.

Bernhard van Bylert *1685 Deventer, 1700 stud. theol. Lingen, 1707 Prediger Lengerich, 1712 Pastor Baccum, ab 1719 Freren, †1723 Freren, beigesetzt im Chorraum der Kirche.

Bernhard Beestermöller: Geschichte des Akademischen Gymnasiums, Lingen 1914, S. 52 f.

Daniel van Hoven: Verosimilia sacra et profana, Lingen 1732, S. 92.

Beestermöller, S. 133.

Friedrich Heinrich Philipp Stosch: Beiträge zu der Gelehrtengeschichte der Stadt Lingen, in: Neues Westphälisches Magazin zur Geographie, Historie und Statistik, hg. v. M.P.F. Weddigen, Bd. 3, H. 11, Lemgo, 1792, S. 226.

Abbildungen:

  1. Bildnis eines Lingener Rektors um 1700
    (aufgespürt von Waler Tenfelde in einem niederländischen Antiquitätengeschäft und 1955 der „Vereinigung ehemaliger Georgianer“ geschenkt.
  2. Die Pontanus-Bronzeskulptur von 1987 hinter dem Professorenhaus. Eine Arbeit des Künstlers Joseph Krautwald aus Rheine.
  3. Titelseite des Carmen (1711)
  4. Übergang von der Praefatio zum Carmen
  5. Der 1961 wiederaufgebaute Pulverturm
  6. Hohe Schule Lingen – heute Malschule – erbaut um 1680
  7. Wilhelm III. (1650-1701), Statthalter der Niederlande und König von England
  8. Von den Insignien der Lingener Akademie hat nur das Zepter von 1699 die Zeiten überdauert.

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