von Dr. Ludwig Remling

Die entscheidenden Schritte auf dem Weg zur Stadt machte Lingen in den Jahrzehnten vor der Mitte des 14. Jahrhunderts. Damals dürfte auch die Lücke zwischen der Vorsiedlung nahe der Ems und dem Haupthof geschlossen und der mittelalterliche Grundriß der Stadt mit seinen drei Toren vollendet worden sein. Auf die drei Stadttore nimmt das 1394 erstmals belegte Stadtsiegel Bezug. Eine Stadtrechtsverleihung ist nicht direkt überliefert. Doch wird im Privileg für Bevergern von 1366 an zwei Stellen ausdrücklich auf das an Lingen verliehene Recht hingewiesen. Das Lingener Stadtrecht von 1401 ist keine Erstverleihung, sondern eine Zusammenfassung der seit etwa 1300 gewährten Freiheiten.

Ein weiteres Indiz für die städtischen Qualitäten Lingens im 14. Jahrhundert ist die Ausgestaltung des Kirchenwesens. Pfarrechte werden 1250 erstmals urkundlich erwähnt. Sie stehen zunächst wohl noch mit der Kirche in der Vorsiedlung in Verbindung, gehen jedoch bald auf die spätestens im 14. Jahrhundert auf dem Marktplatz errichtete Walpurgiskirche über. Diese wird im Jahre 1367 bei der Bestätigung der Frühmeßpfründe als „neue Kirche“ erstmals erwähnt. Eine weitere Kirche, die St. Andreas- Kapelle, gab es im Burgbereich. Gegen Ende des 14. Jahrhunderts entstand als bürgerliche Stiftung vor den Toren der Stadt an der Straße nach Haselünne, also an der Flämischen Straße, das St.- Antonius- Gasthaus. Es diente der Versorgung Armer und Kranker und besaß ebenfalls eine Kapelle.
Die städtische Entwicklung Lingens im 14. Jahrhundert ist eingebettet in die Auseinandersetzungen zwischen den Grafen von Tecklenburg und ihren geistlichen Nachbarn, den Fürstbischöfen von Osnabrück und Münster, um den Ausbau ihrer Territorien. Dabei wurden gegen Ende des Jahrhunderts Burg und Stadt Lingen innerhalb weniger Jahre zweimal erobert. Eine Reminiszenz an diese bewegte Zeit ist das Kivelingsfest, das die Lingener Jugend seit Jahrhunderten feiert. Es wird auf eine Belagerung der Stadt im Jahre 1372 zurückgeführt.

Damals seien, als Not am Mann war, die ledigen Bürgersöhne zur Verteidigung der Stadt aufgeboten worden. Zusammen mit den Burgmannen hätten sie erfolgreich den Feind abgewehrt. Doch die Tapferkeit der Lingener Bürger konnte das Blatt nicht wenden. Die Grafen von Tecklenburg mußten sich schließlich nach jahrzehntelangem Kampf geschlagen geben und verloren im Jahre 1400 den größten Teil ihrer Besitzungen.

Lingen, das lange Zeit am Rande des tecklenburgischen Machtbereichs gelegen hatte, erfuhr durch den Frieden von 1400 eine starke Aufwertung. Der Kontroll- und Stützpunkt an der Ems war die einzige Stadt von Bedeutung in dem geschrumpften Territorium. Graf Nikolaus II. trug dem auch sogleich Rechnung. Am 2. Februar 1401 bestätigte er der Stadt Lingen all jene Privilegien, die bereits seine Vorfahren der Bürgerschaft verliehen hatten. Ein Jahr später überschrieb er seiner Frau die Burg Lingen als Witwensitz. Der gräfliche Hof hielt sich fortan des öfteren in Lingen auf, was den Ausbau der Burg zu einer Nebenresidenz förderte.

Über die Bevölkerungsstruktur und die wirtschaftlichen Verhältnisse im spätmittelalterlichen Lingen sind mangels Quellen nur vage Angaben möglich. Die Stadt zählte ca. 100 bürgerliche Häuser. Die Einwohnerschaft setzte sich aus der Geistlichkeit, den Burgmannen, Händlern und Handwerkern sowie einer nicht geringen Zahl Landwirtschaft treibender Haushalte zusammen. Gildebriefe der Handwerker sind erst vom Ende des 16. Jahrhunderts überliefert, doch darf von Zusammenschlüssen der für die unmittelbare Versorgung notwendigen Handwerke ausgegangen werden. Durch die Verlegung der Friesischen Straße auf das linke Emsufer lief der Fernhandel überwiegend an Lingen vorbei. Der Lingener Markt schrumpfte zum Nahmarkt.

Im Spätmittelalter floß die Ems so nahe an Lingen vorbei, daß bei Überschwemmungen Gefahr für die Stadt zu befürchten war. Im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts wurde deshalb oberhalb von Lingen ein Durchstich gegraben, so daß sich die Ems weiter westlich in größerer Entfernung von der Stadt ein neues Bett suchte.

Infolge von Familienstreitigkeiten kam es gegen Ende des 15. Jahrhunderts zu einer Teilung der Grafschaft Tecklenburg. Graf Nikolaus IV. residierte ab 1498 zusammen mit seiner Mutter auf der Burg in Lingen. Eine unruhige Zeit begann. Da Graf Nikolaus den Rückgang des Handels in der Stadt durch Überfälle auf Kaufleute in den benachbarten Territorien auszugleichen suchte, eroberte der Bischof von Münster 1518 Stadt und Burg Lingen und hielt das Land ein Jahr lang besetzt. Der geflohene Graf Nikolaus fand zunächst Unterstützung bei Herzog Johann von Kleve. 1526 trug er Herzog Karl von Geldern sein Land als Lehen sowie Stadt und Burg Lingen als „offenes Haus“ auf.

Mit dem Tode Graf Nikolaus IV. im Jahre 1541 endete Lingens Zeit als Residenzstadt. Unter seinem Nachfolger Graf Konrad I. wurden die verschiedenen Teile der Grafschaft Tecklenburg wieder in einer Hand vereinigt. Der neue Landesherr führte in Lingen das lutherische Bekenntnis ein und verwandte große Mühe und Anstrengungen auf den Ausbau der Befestigungslagen. Der Marktplatz der Stadt erhielt unter ihm seine heutige Form. Die Walpurgiskirche und mehrere Burgmannshöfe wurden eingelegt, um das Schußfeld vor der Burg zu verbessern.

Doch die Herrschaft Graf Konrads über Lingen war nur von kurzer Dauer. Da er sich dem Schmalkaldischen Bund angeschlossen und damit gegen Kaiser Karl V. gestellt hatte, wurden Stadt und Burg Lingen Anfang des Jahres 1547 von kaiserlichen Truppen erobert. Lingen und weitere 13 Kirchspiele wurden von der Grafschaft Tecklenburg abgetrennt und gingen in den Besitz des kaiserlichen Heerführers Maximilian Graf von Büren über. Sie bildeten fortan die Herrschaft oder Grafschaft Lingen. Im Jahre 1548 wurde Lingen von einem Stadtbrand heimgesucht, dem auch das Rathaus und die ältere schriftliche Überlieferung zum Opfer fielen.

Mit dem Übergang Lingens an Maximilian Graf von Büren hatte die unruhigste Epoche in der Geschichte Lingens begonnen. In den folgenden drei Jahrhunderten wechselte die Stadt mehr als zehn Mal die Landesherrschaft. Zunächst gehörte Lingen zum Königreich Spanien, später zu den Vereinigten Niederlanden; kurze Zeit hatte es auch der Bischof von Münster in Besitz (1672 – 1674). Im 18. Jahrhundert war der König von Preußen Landesherr über Lingen. Im 19. Jahrhundert wechselten sich Frankreich, Preußen und das Königreich Hannover in der Herrschaft ab. Mehrfach war mit dem Wechsel des Landesherrn auch ein Konfessionswechsel verbunden.

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