Bräuche zu St. Martin

von Dr. Andreas Eiynck

Der Martinstag (11.11.) war einst das Datum, zu dem die Bauern nach dem Abschluss der Ernte die Pachten und Abgaben an ihre Grundherren entrichten mussten. Meist leisteten sie die Zahlungen in Naturalien, etwa in Form von Getreide oder Vieh, daher auch der Name Martinsgans. Erst durch ein Dekret Napoleons wurde diese Form des Feudalismus zum Martinstag 1808 abgeschafft. An die Stelle der Naturalabgaben traten jedoch die neuen Steuern.
Die Kinder zogen am Martinstag nachmittags von Haus zu Haus und sangen das plattdeutsche Lied „Sünter Merten Vögelken“ oder andere Martinslieder. Dafür wurden sie mit Äpfeln und Nüssen, Gebäck und Süßigkeiten belohnt.
Heute werden die Martinsumzüge von Kirchengemeinden, Schulen oder Vereinen organisiert. Gegen Abend ziehen die Kinder mit bunten Laternen singend durch die Straßen. Eine Blaskapelle begleitet den Gesang der Martinslieder. Der Zug wird angeführt von einem Reiter, der sich als Heiliger Martin verkleidet hat. In einer szenischen Aufführung wird dargestellt, wie der Heilige seinen Mantel mit dem Bettler teilt. Zum Abschluss erhalten alle Teilnehmer ein Festgebäck.
Die Erinnerung an den Martinstag als alten Zahlungstermin halten heute noch manche Heimatvereine wach, die an diesem Tag den symbolischen Pachtzins für ihr Heimathaus entrichten. Dem Eigentümer des Hauses, meist der Gemeinde, werden dabei ein Scheffel Roggen und eine lebende Martinsgans übergeben.
Der Text des plattdeutschen „Sünter-Merten-Leed“ lautet:

Sünter Merten Vögelken
har son rot rot Kögelken,
har son rot rot Röcksken an,
dat Röcksken was so hübsch un fien.
Hei Sünter Merten!
Sünter Merten har ne Koh,
de har kein Heu und Stroh mehr to.
De Koh begünnt to lopen,
van hierher bis no Schoapen.
Lot us hier nich lange mehr stohn,
wie mött noch heel no Hopsten hengohn,
drei wiete Wege.
Bint ju Appeln nich gut gerott,
dann geft us en paar Nötte,
Krie Kra Krötte,
de Botter lepp ut de Pötte!
Hier wonnt wall nen rieken Mann
De us wall wat geven kann!
Selig sall he sterven,
denn Himmel sall he erven!

(Text: Heimatverein Messingen)

Nachweislich bereits seit der Mitte des 16. Jahrhunderts wird das Lied „Sünte Martins Vöggelken“ als Gaben-Heischelied im westfälischen und emsländischen Raum gesungen. Das mundartliche Lied ist mit einer Fülle von Text- und Notenvarianten bekannt. Die Kommission Alltagskulturforschung für Westfalen hat über 100 verschiedene Text- und Melodieformen dieses alten Kinderliedes gesammelt.

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